© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 06/05 04. Februar 2005

LOCKERUNGSÜBUNGEN
Teure Geschichte
Karl Heinzen

Das von Haushaltsdefiziten geplagte Land Berlin beklagt, daß ihm seine Verantwortung vor der Geschichte finanziell über den Kopf wächst. Da die Hauptstadt der Bundesrepublik nämlich einst eine ebensolche des Verbrechens war, ist sie nun mit Gedenkstätten in großer Zahl gesegnet, die die Erinnerung an alles mögliche wachhalten sollen. Was Besucher derartiger Einrichtungen vor lauter Schrecken nur zu gerne vergessen: Auch Gedenkkultur hat ihren Preis, vor allem dann, wenn sie mehr sein will als eine bloße Pflichtübung.

Wer aber soll für die Kosten aufkommen? Der Berliner Senat vertritt den Standpunkt, daß man die Unterhaltung von Mahnmälern mit gesamtstaatlicher Bedeutung nicht ganz oder auch nur teilweise dem Land aufbürden darf. Das Abgeordnetenhaus der Hauptstadt geht sogar noch einen Schritt weiter und schlägt vor, für die Gedenkstättenfinanzierung einen föderalen Finanzausgleich zu schaffen.

Natürlich mag man darüber die Nase rümpfen, daß derartige Vorstöße ausgerechnet jetzt erfolgen. In diesen Wochen jagt ein Gedenktag den anderen. Männer mit Hut posieren mit ernster Miene vor geschichtsträchtiger Kulisse für die Kameras der Weltmedien. Zahllose Repräsentanten unseres Gemeinwesens sind bemüht, herausragende und ungewöhnliche Gedenkideen in die Tat umzusetzen und auf diese Weise persönliche Bestleistungen in der Zuschaustellung beredter Fassungslosigkeit zu erzielen. Wer da von etwas so profanem wie Geld spricht, verdirbt nicht allein die Stimmung, sondern verrät auch eine buchhalterische Einstellung zu dem Leid anderer, wie man sie von den berüchtigten Schreibtischtätern kannte. Dennoch wird man sich dieses Themas annehmen müssen, nicht zuletzt, weil es ansonsten von den Rechtsradikalen besetzt zu werden droht. Wie bei anderen großen Zukunftsfragen sollten wir uns auch hier nicht scheuen, finanzielle Aspekte in unsere Betrachtung einzubeziehen. Wir tragen die Verantwortung dafür, daß zukünftige Generationen ihre Verantwortung für unsere Vergangenheit übernehmen. Dem werden wir nur gerecht, wenn wir die entsprechenden Investitionen solide planen.

Die Anregungen, die dazu aus Berlin kommen, sind jedoch fragwürdig. Das Gedenken, auf das es uns ankommt, ist weder "lokal" noch "gesamtstaatlich". Es geht um eine Haltung, die von jedem losgelöst von Raum und Zeit verlangt wird. Auch darf niemand, der schon das Pech hat, inmitten von Orten schrecklicher Erinnerung zu leben, auch noch über Gebühr zu Kasse gebeten werden. Für eine zukunftsorientierte Gedenkstättenfinanzierung bieten sich daher idealtypisch bloß zwei Modelle an. Entweder man setzt auf den Markt und erschließt Eintrittsgelder und Sponsoring als Quellen. Oder aber man ringt sich endlich zu einer Gedenkstättensteuer durch. Diese läge zwar nicht im Trend zu mehr Privatisierung, hätte aber einen unbestreitbaren Vorteil: Belastet würden auch jene, die den Schrecken leugnen oder verharmlosen.


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