© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 06/05 04. Februar 2005

Kolumne
Bedenklich
Klaus Motschmann

Im Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen um den jüngsten "NPD-Eklat" im sächsischen Landtag werden inzwischen Kommentare abgeliefert, die auf höchst bedenkliche Tendenzen in der Erosion unseres Rechtsbewußtseins hindeuten.

Dazu gehört das auch bei anderen Gelegenheiten wie selbstverständlich geäußerte Argument, daß der militärisch sinnlose Bombenterror auf deutsche Städte in den letzten Kriegswochen als konsequente Reaktion auf entsprechende Verbrechen der deutschen Wehrmacht verstanden werden müsse. "Die Flammen, die von Deutschland 1939 ausgingen, schlugen nun im Jahre 1945 auf Deutschland zurück", hieß es in einer ersten, offenkundig spontanen Reaktion im Sächsischen Landtag in Dresden. Die Problematik derartiger Vergleiche vom Bombardierungen großer Städte zu Beginn des Krieges (in England) und unmittelbar vor Kriegsende (in Deutschland und Japan) kann an dieser Stelle nur angedeutet werden. Wo bleiben die sonst üblichen Warnungen vor Vergleichen dieser Art? Niemand wird bestreiten wollen, daß derartige Argumente in der Kriegspropaganda aller Staaten eine wichtige Rolle gespielt haben - und offenbar noch immer spielen.

Dabei muß allerdings beachtet werden, daß die dauerhafte Wiederholung dieses Arguments zu einer Zersetzung des Rechtsbewußtseins führen muß, vor allem auch dann, wenn das unabsichtlich und gedankenlos geschieht. Es verstößt nämlich - sei es beabsichtigt oder nicht - gegen einen elementaren Grundsatz der christlich-abendländischen Rechts- und Moralvorstellungen: Aus keinem Verbrechen darf der einzelne das Recht zu einem eigenen Verbrechen ableiten, so verständlich und psychologisch erklärbar auch Rache, Vergeltung, Schock und sonstige Reaktionen auf ein Verbrechen sein mögen.

Jedes Verbrechen, sei es gegen das Völkerrecht oder gegen das Staatsrecht, gegen das Kriegsrecht oder gegen die allgemeinen Menschenrechte, kann nur auf einer höheren Ebene in einem geordneten Verfahren geahndet werden, in dem allerdings auch dem Angeklagten das Recht auf Verteidigung zugestanden wird. Immer wird das Bemühen erkennbar, begangene Verbrechen als Bruch der für alle verbindlichen Rechte zu verurteilen - und nicht als verständliche Reaktionen zu beurteilen. Damit werden Maßstäbe gesetzt beziehungsweise in Erinnerung gebracht, die nicht in Vergessenheit geraten sollten. Verantwortliches Handeln in Gesellschaft und Politik orientiert sich am Recht.

 

Prof. Dr. Klaus Motschmann lehrte Politikwissenschaften an der Hochschule für Künste in Berlin.


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