© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 06/05 04. Februar 2005

Pankraz,
Ch. de Montesquieu und der Geist der Gesetze

Er war der vielleicht einzige Schriftsteller, der mißtrauisch gegen sich selbst wurde, wenn ein Buch von ihm zu Bestsellerhöhen aufstieg, und manches tat, um das zu verhindern. Als ihn die Buchdrucker nach dem triumphalen Erfolg seiner "Persischen Briefe" (1721) bestürmten, eine Fortsetzung unter die Leute zu bringen, winkte er kühl ab und schrieb einen Roman, "Le temple de Guide", den niemand lesen wollte.

Er war reich, von Beruf Jurist und Präsident der Ständeversammlung von Bordeaux, was ihm von Geburt wegen zustand, denn seine Familie war alt und einflußreich in der großen Stadt. Sein voller Name lautete Charles-Louis de Secondat, Baron de la Brède et de Montesquieu. Er lebte von 1689 bis 1755, an seinem 250. Todestag am kommenden Donnerstag wird er als einer der größten Staatsrechtslehrer der europäischen Geschichte gefeiert werden. Sein gewaltiges Werk "Der Geist der Gesetze" (1748) gilt als Gründungsurkunde des Konstitutionalismus.

Dabei lag Montesquieus Hauptinteresse gar nicht bei der Staatslehre, sondern bei dem, was man heute Kulturgeschichte und Kultursoziologie nennt, mit intensiven Ausblicken auf Geographie, Klimalehre und andere naturwissenschaftliche Fächer. Montesquieu war fasziniert von der Frage, wie die Natur den Menschen und sein Verhalten prägt und fortentwickelt. Die Interpretation von Kultur als Naturgeschichte des Menschen - das war sein Thema, auf diesem Feld hat er seine großen Geistestaten vollbracht. Sein "politisches Engagement", die Propagierung des staatsrechtlichen Konstitutionalismus, war eher ein Nebenprodukt seiner lebenslangen Bemühung, Natur und Kulturgeschichte zusammenzubringen.

Montesquieu, als Senatspräsident von Bordeaux ein Mann der Praxis und tagtäglich mit den Auswirkungen der am Pariser Hof fabrizierten Großen Politik auf das konkrete Leben der Menschen befaßt, empörte sich über die tyrannische Gleichmacherei und Normierungswut des herrschenden Absolutismus, der unter dem "Sonnenkönig" Ludwig XIV. seinen Höhepunkt erreicht hatte und nun (Ludwig war 1715 gestorben) im Regime der sogenannten "Regence" langwierig vor sich hinzufaulen begann. Um das ganz und gar Naturwidrige und damit auch Gesetzeswidrige des Absolutismus zu erweisen und zu brandmarken, schrieb Montesquieu seine "Persischen Briefe" und seinen "Geist der Gesetze". Es waren gleichermaßen systematisch-wissenschaftliche wie polemische (und satirische) Werke, und nicht zuletzt darin liegt ihr Charme.

Wahrscheinlich mehr noch als sein Zeitgenosse Voltaire hat Montesquieu mit seiner spezifischen Verbindung von Wissenschaft und Literatur, Kulturgeschichte und Polemik bzw. Satire das anbrechende Zeitalter der "Aufklärung" und des "Gefühls" beeinflußt und geformt, den Materialismus und Sensualismus der Enzyklopädisten, das Naturpathos Rousseaus, den Sturm und Drang in Deutschland. Sein Kampfruf hieß freilich nicht à la Rousseau "Zurück zur Natur!", sondern er hieß: "Vorwärts zu einer vernünftigen, natur- wie kulturgemäßen Gesetzgebung!"

Im Begriff des Gesetzes kulminierte die Philosophie des Charles-Louis de Montesquieu. Ein Gesetz war in seiner Sicht nichts willkürlich Erlassenes und Aufgepfropftes, sondern es war die Staatskunst an sich, die nach langer Beratung sorgfältigst formulierte Quintessenz natürlich-kultureller Geschichtsprozesse. Sämtliche geographischen wie geschichtlichen Gegebenheiten hatten in seinen Text Eingang zu finden, Klima und Boden des Volkes, für das es erlassen werden sollte, ebenso wie überkommene, aus langer Stammeserfahrung gespeiste Sitten und Gebräuche. "Es gibt für die Gesetzgebung", sagte Montesquieu, "kein überall passendes Ideal oder Schema des besten Staates."

Und weiter sagte er: "Gesetze kommen nicht vom Himmel, sondern aus der Erde." Kein Fürst darf sich unter Berufung auf sein Gottesgnadentum über das Gesetz hinwegsetzen. Und zu seiner Einhaltung bedarf es ständiger sorgfältiger Kontrolle und Lebensanalyse. Deshalb sind für gutes Regieren nicht nur eine Exekutive und eine unabhängige Legislative nötig, wie es in England John Locke gelehrt hatte, sondern auch und vor allem eine "Judikative", ein Stand unabhängiger Richter und Gesetzeswächter, der weder von Exekutive noch Legislative gegängelt werden darf.

Als Regierungsform, die die Machtteilung zwischen den drei Gewalten und ihr Zusammenspiel am besten garantieren könnte, sah Montesquieu die konstitutionelle Monarchie bzw. eine von einer senatorischen Aristokratie getragene Idealrepublik nach dem Muster des alten Rom. Der Demokratie mißtraute er. Sie stamme, wie er etwas herablassend formulierte, "aus den germanischen Wäldern", sei klimatologisch ein Kind des Nebels und der unbereinigten Affekte.

Montesquieu war wohl derjenige (Früh-)Aufklärer, der sich am vernünftigsten über die nichteuropäischen Völker äußerte. Er behandelte sie weder überheblich als Barbaren noch illusionsbefangen als "edle Wilde". Glorioser Beleg dafür sind die "Persischen Briefe", wo sich zwei Exoten ausführlich über die Abendländer verwundern und sich manchmal über ihre unnatürliche "Zauberei" lustig machen. "Ihr Papst ist auch ein Zauberer. Er macht dauernd aus drei eins und aus eins drei."

Solches hätte natürlich den mächtigen Kardinal Fleury empört, der damals in Paris unter anderem über den Zutritt der französischen Geistesgrößen zur Akademie wachte. Als Montesquieu Mitglied werden sollte, ließ er deshalb extra für den Kardinal eine "bereinigte" Ausgabe der "Briefe" drucken. Der Coup gelang, Fleury merkte nichts, der Verfasser der "Briefe" wurde Mitglied. So also war Montesquieu: witzig, verbindlich, unabhängig. Über den "Geist der Gesetze" hat er das stolze Motto gestellt: "Prolem sine matre creatam" ("ohne Mutter gezeugt").


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