© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 06/05 04. Februar 2005

Konspirativ eingebetteter Journalismus
Erich Schmidt-Eenboom untersucht den Einfluß von Geheimdiensten auf die Medien
Wolfgang Welsch

In seiner erweiterten Neuauflage von "Undercover" geht der Autor der Frage nach, warum Presseleute und Publizisten geeignete Ansprechpartner des BND sind. Die Antwort findet er vorab in einem frühen Zitat des ersten deutschen Geheimdienstchefs Otto von Bismarcks, Wilhelm Stieber: "Man kann gar keine täuschendere Maske erfinden (...) als vermeintliche Presse-Berichterstatter."

In seiner Untersuchung beschreibt der Autor detailliert und kenntnisreich das Beziehungsgeflecht zwischen Publizisten und Nachrichtendienstlern von den Anfängen bis in die Gegenwart. Er deckt jene verborgenen Episoden und Beziehungen auf, die in ihrer Gesamtschau das Netzwerk des Bundesnachrichtendienstes erhellen. Bekannte Journalisten und Publizisten werden in ihrer Doppelrolle benannt, Aufgabengebiete, Wirkung und Zielsetzung beschrieben. Selbst in Nachrichtenmagazinen und Zeitungen saßen Konfidenten des Dienstes, die vorzugsweise die Sicht rechtskonservativer Kreise und Parteien bedienten. Trotz des sehr kleinen, etwas anstrengend zu lesenden Schriftbildes und des ungewohnt schmalen Seitenrandes findet sich in 33 Kapiteln auf 388 Seiten eine Fülle von Informationen. Diese wohl umfangreichste Darstellung zu diesem Thema ist ein aufschluß- und beziehungsreiches Nachschlagewerk für Forscher, Historiker und Autoren. Quellenangaben und Personenregister vervollständigen die gut recherchierten Fälle, die der Autor faktenreich präsentiert.

Dabei wird deutlich, daß der BND zur Zeit des Kalten Krieges das zweite Standbein vieler hochrangiger West-Journalisten war. Aber auch umgekehrt hatte es Tradition beim BND und gehörte zum Repertoire, Nachrichtenbeschaffer als Journalisten zu legendieren und in die Medien einzuschleusen. Trotzdem konnte der BND mangels Detailwissen über die 1961 errichtete Mauer und die Abriegelung der Grenze auf Dauer keine Vorhersage treffen.

Geradezu minutiös schildert der Autor die Wiederverwendung alter NS-Propagandisten als Pressesonderverbindungen im BND und in der Nachkriegs-Medienlandschaft, denen die alliierten Lizenzgeber trotz ihrer Vergangenheit wohlwollend gegenüberstanden. Diese waren längst Arrangements mit US-Nachrichtendiensten eingegangen und unterliefen die "Reeducation" der westlichen Besatzungsmächte. Erst zu Beginn der siebziger Jahre wurde der Dienst von den Altlasten "gesäubert". Die Presseverbindungen hingegen wurden an vorderster Front weiter genutzt.

Erstaunlich, wie viele Journalisten zu Konfidenten des BND wurden. Der Kalte Krieg rechtfertigte die Mittel - auch in der Publizistik. So blieb nicht aus, daß selbst angesehene Nachrichtenmagazine wie Stern oder Spiegel gefälschtem Material der Desinformationsexperten beider Dienste aufsaßen, des BND und des MfS. Eitelkeiten und Machtspiele um Informationen und Desinformation beschreibt Eenboom an Hand ausgesuchter Fallbeispiele. Dabei wird evident: Der Auslandsdienst hatte sehr wohl und sehr viel mit Innenpolitik zu tun.

Gelegentlich tauchen Protagonisten und Mitspieler östlicher Provenienz auf dem Medienspielfeld Bundesrepublik auf. Über Praktiken und Verbindungen der Desinformationsexperten des MfS zu bundesdeutschen Journalisten erfährt der Leser leider nur en passant. Deren Verbreitungsorgan horizont wird zwar erwähnt, Aufgaben und Zielsetzungen dieses trojanischen Vehikels aber nicht näher beschrieben. Man erfährt auch nicht, welche Altlasten sich an die östliche Seite verdingt hatten. Gelegentlich und geschickt rechnet der Autor, Spezialist in der Analyse nachrichtendienstlicher Vorhaben und Abläufe und Verfasser einer Reihe von Büchern über den BND, mit Widersachern und Unkundigen ab.

Für Laien ist die schiere Fülle und komprimierte Darstellung vieler Vorgänge um den BND streckenweise schwer zu lesen, für Kenner der Materie und Wissenschaftler eine Fundgrube bei der Suche nach Quellen und Abläufen. Mitunter wäre die Feststellung erhellend, daß in einem Krieg, wenn auch nur einem "kalten", die Regeln des Krieges gelten, nicht die des Friedens. Unter dieser Prämisse sind wohl die symbiotischen Beziehungen zwischen BND und Medien zu betrachten. Sie werden im vorliegenden Buch überaus informativ dargestellt.

"Literatur im politischen Auftrag", ZDF-Sendung im März 1972: Schriftsteller und Publizisten problematisieren das Thema. Im BIld Hans-Werner Richter, Jean Paul Picaper, Günter Wallraff, Helmut Lethen

Erich Schmidt-Eenboom: Geheimdienst, Politik und Medien. Meinungsmache undercover. Edition Zeitgeschichte, Bd. 16. Kai Homilius Verlag, Berlin 2004, 388 Seiten, gebunden, 24,80 Euro


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