© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 07/05 11. Februar 2005

Kolumne
Vergangenheitsbewältigung als Religionsersatz
Bruno Bandulet

Die langen Gedenkveranstaltungen und Politikerreden zum Jahrestag der Befreiung von Auschwitz, die Anfang Februar zu Ende gegangen sind, hinterlassen einen zwiespältigen Eindruck. Ja, es ist richtig, nicht zu vergessen, was geschehen ist. Ja, das Verhältnis zu Israel wird auf lange Zeit ein besonderes bleiben. Und es stimmt auch, daß dies ein Thema ist, mit dem sensibel umgegangen werden muß.

Aber warum ist es nicht möglich, daß ein Repräsentant der Bundesrepublik Deutschland einen Ort des Gedenkens aufsucht, das Haupt senkt und ein stilles Gebet spricht? Warum muß alles ins Politische gezogen werden? Und was ist eigentlich damit gemeint, wenn Außenminister Fischer verkündet, das demokratische Deutschland sei von der "Verantwortung für Auschwitz" tief geprägt? Meint er die Verantwortung der Politiker oder des Volkes? Wie kann das demokratische Deutschland für die Verbrechen der Nationalsozialisten verantwortlich sein? In unserem Kulturkreis ist Schuld immer individuell, es gibt keine Sippenhaftung, und daran ändert auch der sprachliche Kunstgriff nichts, den neuerdings verpönten Begriff der Kollektivschuld durch den ebenso kollektivistisch gemeinten Begriff der Verantwortung zu ersetzen. Die Diktion dieser Vergangenheitsbewältigung mutet zunehmend an wie ein Religionsersatz, der sich im Vakuum einer areligiösen Gesellschaft ausbreitet. Die Trauerarbeit hat längst ihre eigene Liturgie, ihre Zeremonien und Rituale - wer davon abweicht, verspielt seine politische Existenz. Inzwischen wird auch die absurde Behauptung unwidersprochen hingenommen, die Schoa sei Teil der deutschen Identität. Auf die Idee, daß die Ausrottungspolitik Stalins Teil der russischen Identität sei, kommt niemand. Es geht heute, wie Gerard Radnitzky zu Recht bemerkt hat, nicht mehr um Ideen, sondern um die kollektive Verwaltung des Gewissens. Und, so wäre hinzuzufügen, die Erzeugung eines schlechten Gewissens war schon immer ein vorzügliches Herrschaftsinstrument.

Daß dabei auch die katholische Kirche als Hüterin der alten Religion (und damit der Alternative zu allen Ersatzreligionen) gelegentlich ins Visier gerät, ist kein Zufall. Die CDU hätte bereits Michel Friedmans Schmähungen des Christentums entgegentreten müssen. Sie hat es auch unterlassen, Kardinal Meisner zur Seite zu stehen. Zuletzt wurde das katholische Sonntagsblatt der Diözese Würzburg von jüdischer Seite mit dem geradezu lachhaften Vorwurf des Antisemitismus überzogen. Besinnung tut not, wenn der Diskurs ins Hysterische abgleitet.

 

Dr. Bruno Bandulet ist Herausgeber des DeutschlandBriefes und des Finanzdienstes G&M.


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