© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 07/05 11. Februar 2005

Keine Invasion deutscher Studenten
EU: Immer mehr Staaten führen Studiengebühren ein / Österreich keine billige Alternative für deutsche Studenten
Ekkehard Schultz

Wenn nur zehn Prozent der in Deutschland abgewiesenen Bewerber nach Österreich kommen, und das ist sehr vorsichtig kalkuliert, können wir es nicht mehr schaffen", warnte der Vizerektor der Medizinuniversität Wien, Rudolf Mallinger, letzte Woche im Wiener Boulevardblatt Kurier.

Anlaß, erneut vor einer deutschen Studenten-Invasion zu warnen, war diesmal allerdings nicht nur die drohende Niederlage Österreichs vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) bezüglich des Zulassungssystems an österreichischen Hochschulen. Die EU verlangt freien Zugang für alle EU-Bürger - die Hürde, einen Studienplatz im Heimatland vorweisen zu müssen, soll entfallen.

Auslöser des Kurier-Alarms war das Urteil des Bundesverfassungsgerichts in Sachen Studiengebühren (JF 06/05). Denn nicht nur die studiengebührenfreien Bundesländer unter SPD-Führung befürchten nun eine Überflutung ihrer Hochschulen von Studenten aus Ländern wie Bayern, Baden-Württemberg oder Hamburg, die Studiengebühren alsbald einführen wollen. Dabei sind Summen von 500 Euro pro Semester wohl nur der Einstiegsbetrag.

Zahlreiche deutsche Studenten könnten nach der Einführung von Studiengebühren tatsächlich die "Flucht" ins Ausland antreten, um den drohenden Zahlungen zu entgehen. Doch dies wird wohl keine "Invasion" werden. Denn was zunächst die Unionsländer praktizieren wollen (und spätestens nach der Bundestagswahl auch die SPD-Länder), ist in vielen Staaten bereits Alltag.

So führte die ÖVP-FPÖ-Koalition in Österreich trotz massiver Proteste Gebühren ein. Seit dem Wintersemester 2001/2002 werden etwa 360 Euro pro Semester verlangt - das ist zwar immer noch erträglich im Vergleich zu den Gebührenplänen der unionsgeführten Länder. Doch zusätzlich muß dort auch der Lebensunterhalt bestritten werden - und der ist teurer als in Deutschland. Angesichts der entfallenden Sprachhürde dürfte das für deutsche Studenten ohne Bafög-Anspruch aber durchaus attraktiv sein.

Frankreich, Schweden und Finnland sind gebührenfrei

In Italien betragen die Studiengebühren abhängig von der Hochschule und dem Einkommen der Eltern jährlich etwa 280 bis 1.500 Euro - da könnte die Universität Bozen in Südtirol ein "Geheimtip" werden. In den Niederlanden sind hingegen Studiengebühren in Höhe von etwa 1.500 bis 1.700 Euro pro Jahr fällig. In England sind derzeit rund 1.600 Euro pro Jahr fällig, ab dem Sommersemester 2006 ist eine Erhöhung der Gebühr auf 4.300 Euro geplant.

Gebührenfrei ist das Studium an staatlichen Hochschulen in Schweden und Finnland und den meisten der 2004 beigetretenen neuen EU-Länder - doch da dürfte die Sprachhürde für viele zu hoch sein. Schottland hat sein kostenloses Studium auf Einheimische beschränkt. An staatlichen Universitäten in Frankreich gibt es ebenfalls keine Studiengebühren, es sind lediglich Einschreibgebühren zwischen 140 und 230 Euro pro Jahr fällig - auch das könnte für sprachbegabte deutsche Studenten eine Alternative werden.

Auffällig ist, daß in allen EU-Ländern, die bereits seit längerer Zeit Studiengebühren erheben, diese nach relativ moderatem Beginn kontinuierlich erhöht wurden. Eine Explosion der Kosten läßt sich auch in Ländern mit höheren Gebühren wie beispielsweise in Großbritannien nur mit Hilfe eines staatlich festgelegten Höchstsatzes (Deckelung) erreichen. Vertreter der Wirtschaft und der Hochschulen versuchen hingegen regelmäßig, für eine noch höhere Beteiligung der Studierenden zu werben.

Bei allen Staaten, die Studiengebühren erst in den letzten Jahren einführten - wie den Niederlanden oder Österreich - ist zugleich die Gesamtzahl aller Studenten um bis zu ein Fünftel zurückgegangen. In Großbritannien nimmt dagegen die Zahl der Studienbewerber trotz der Gebührenerhebung seit 1998 weiter zu. Dies führen Experten jedoch darauf zurück, daß auf der Insel die Gebühren grundsätzlich erst nach Beendigung des Studiums fällig werden - und auch erst dann, wenn der Absolvent über ein Mindestjahreseinkommen von etwa 20.000 Euro verfügt.

Daß die Hochschulen seit der Einführung von Studiengebühren über ein qualitativ hochwertigeres Studienangebot verfügen, läßt sich bislang in keinem der Länder registrieren, die diesen Schritt gegangen sind. In den Niederlanden und in Österreich wurden die staatlichen Mittel für die Universitäten im Gegenzug zur Einführung der Gebühren sogar gekürzt, in Großbritannien zieht der Staat sofort einen erheblichen Teil der Einnahmen aus Studiengebühren ein.

Eine Überflutung von deutschen Studenten an ausländischen Hochschulen nach der Einführung von Studiengebühren ist insgesamt aber kaum zu erwarten. Allenfalls dürfte es an einigen österreichischen Universitäten dazu kommen, etwa bei den medizinischen Studiengängen. Wegen der insgesamt in Österreich vergleichsweise hohen Lebenshaltungskosten dürfte sich der kleine Einspareffekt jedoch schnell relativieren. Ost- und Mitteleuropa dürfte nur für die bereits mit den dortigen Sprachen sehr gut vertrauten Studenten eine tatsächliche Alternative darstellen.


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