© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 07/05 11. Februar 2005

Lichtträger auf der Leinwand
In der Ausstellung "Flügelschlag" will sich die übersinnliche Erfahrung nicht einstellen
Claus-M. Wolfschlag

Sie gelten als Mittler zwischen Himmel und Erde. Ein guter Mensch, der stirbt, verwandelt sich nach allgemeiner Auffassung in - einen Engel. Und dieser wiederum wird manchmal mit einem Auftrag zu uns gesandt, um nach dessen Erfüllung wieder in das Reich hinter den Wolken zurückzukehren. Bisweilen landen die Engel nicht nur bei uns, sondern auch auf der Kinoleinwand, und dies schon seitdem die Bilder laufen lernten. Eine Ausstellung des Deutschen Filmmuseums Frankfurt unter Schirmherrschaft von Wim Wenders widmet sich nun diesen Engeln auf Zelluloid.

"Flügelschlag" lautet der Titel der Schau, die bereits vor fast einem Jahr in Berlin zu sehen war. Die Ausstellung widmet sich einem einflußreichen kulturgeschichtlichen Phänomen. Die historisch-mythologische Komponente kommt darin aber leider etwas kurz, obwohl eine tiefergehende Auseinandersetzung der Thematik gutgetan hätte. Kaum etwas erfährt man also von den Flügelwesen in der bildenden Kunst, zum Beispiel den Sphinxen der Antike oder dem Beginn des beflügelten christlichen Engelsdaseins im 5. Jahrhundert, wie es uns in den berühmten Mosaiken von Ravenna entgegenleuchtet. Erst im 15. Jahrhundert durften auch Frauen und kindliche Putten zu Engeln werden. Und nach der Hochphase im gegenreformatorischen Barock kam mit der sachlichen Aufklärung das Ende der Engel in der Kunst. In der Romantik sowie später bei Klee, Chagall und Barlach flackerte das Phänomen immer wieder kurz auf. Im 20. Jahrhundert erfuhren Engelsfiguren aber ihre Renaissance im neuen Medium Film. Hier erst setzt "Flügelschlag" an.

Ein mäandrischer Weg aus informativ beschriftete Wänden am Eingang führt den Besucher in den Ausstellungsraum. Dabei werden die verschiedenen geistigen Formen des Engelsdaseins erläutert. Sie können als Boten, also als Verkünder von Mitteilungen auftreten, wie die Kapuzenmänner in John Hustons "Die Bibel" von 1965. Oder sie nehmen eine Rolle als Beschützer des Menschen ein. Der Engel Clarence hält beispielsweise 1947 in Frank Capras "Ist das Leben nicht schön?" seinen Schützling vom Selbstmord ab.

Die gelegentlich auftretende kriegerische Komponente des Engels wurde immer wieder dem Erzengel Michael entlehnt. Als Gefallene treten Engel hingegen vor allem im Gefolge Luzifers auf. Luzifer, der "Träger des Lichts", war nämlich der Mythologie nach ursprünglich ein Engel, bevor er Gott in einer Rebellion herausforderte und mit seinen Anhängern den Gang in die Hölle antreten mußte.

Immer wieder bemüht daher vor allem das phantastische Genre den Kampf zwischen Engel und Teufel, zwischen Gut und Böse, zwischen verfeindeten Brüdern. Die klassische Aufgabe der Engel aber ist - analog zu den germanischen Walküren - die Einnahme der Gefährtenrolle auf unserem Weg ins Jenseits. Als filmisches Beispiel kann dazu Wim Wenders "In weiter Ferne, so nah!", von 1993, herangezogen werden: Sehr aufmerksam und lange hört Otto Sander als Engel dem alten, von Heinz Rühmann gespielten Chauffeur Konrad zu, der seine Angst vor dem Sterben schildert. Zuletzt die Liebe: Was wären die Engel ohne die Küsse, die sie uns Sterblichen schenken, und die Sehnsucht, sich für unser Dasein entscheiden zu dürfen, wie beispielsweise Bruno Ganz 1987 in "Der Himmel über Berlin"!

Zahlreiche der vorgestellten Filme - von Friedrich Wilhelm Murnaus Stummfilmklassiker "Faust - eine deutsche Volkssage" von 1925/26 bis zur sinnlichen "Barbarella" aus dem Jahr 1968 - können in einer begleitenden Filmreihe bewundert werden.

"Flügelschlag" bemüht sich, mit Filmausschnitten, Fotos und Texten verschiedenen Engel-Facetten gerecht zu werden. Der Komponist der die Schau begleitenden Klangkompositionen, Frieder Butzmann, ließ sich nach eigenen Angaben von Archetypen der Engelsmusik leiten. Und so durchweben hohe, süßliche Töne die Ausstellungsräume.

Doch trotz Geigen- und Harfenklängen will sich die übersinnliche Erfahrung beim Besucher nicht so recht einstellen. So sehr sich die Ausstellung auch bemüht, sie wirkt zu didaktisch konzipiert. Etwas ratlos steht der Besucher vor einer wahllos erscheinenden Aneinanderreihung von Szenenfotografien, Porträts wie Gruppenbilder. Angestrengt schaut man auf einige zu kleinformatig geratene Abbildungen und eine Überzahl schriftlicher Informationen, die zu lesen die Geduld strapaziert. Leider nur sehr wenige Ausstattungsstücke lockern die Schau auf, darunter ein Kostüm von Heike Makatsch, zwei Flügel von Nastassja Kinski, ein Brustpanzer von Bruno Ganz. All dies wirkt weder ausreichend aufklärerisch-erhellend noch sinnlich genug, um wirklich in die Tiefen jenes überirdischen Phänomens vorzudringen.

Die Ausstellung "Flügelschlag - Engel im Film" ist noch bis zum 28. März im Deutschen Filmmuseum Frankfurt am Main, Schaumainkai 41, zu sehen. Info: 069 / 21 23 88 30

Foto: Emmanuelle Béart in dem Film "Date with an Angel" (1987): Zwischen Aufklärung und Verklärung


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