© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 08/05 18. Februar 2005

Weiße Rose
Das Gegenteil von heutiger "Zivilcourage"
Thorsten Hinz

Die weiße Rose war letztes Wochenende in Dresden ein massenhaftes Accessoire. Nur den wenigsten Demontranten, die sie sich angeheftet hatten, dürfte bewußt gewesen sein, daß sie ihr Gedenken damit in eine seichte politische Demonstration umfunktionierten. Sie hatten einer Massensuggestion gehorcht. Auf die Angehörigen der Widerstandsgruppe Weiße Rose wartete am 22. Februar 1943 das Schafott, auf die Bekenner von Dresden das Lob der etablierten Politik und Medien.

Sophie Scholl war zuvor Jungmädelführerin gewesen, ihr Bruder Hans und seine jungen Freunde gehörten der Wehrmacht an. Der Philosophieprofessor Kurt Huber, ihr väterlicher Berater, war seit 1940 NSDAP-Mitglied. Auf vier Flugblättern, die sie verfaßt und verteilt hatten, erklärten sie das NS-Regime zum Todfeind und riefen zu Widerstand und Sabotage auf.

Den Beckmessern von heute, die schon als Vierzehnjährige wissen, mit welcher Partei sie Karriere machen, müssen diese reichen, widerspruchsvollen Leben fremd bleiben. Was die Weiße Rose sich damals traute, war die totale Sezession. Sie konnte sich auf nichts stützen als auf ihr Gewissen, ihren christlichen Glauben, auf ihr eigenes, hart erarbeitetes Bewußtsein dessen, was gut und böse, was recht und unrecht ist. Alles Äußere stand gegen sie: der Staat, die Mehrheitsmeinung, die fehlenden Aussichten auf praktische Erfolge. Sie hatten aber eine "Entscheidung innerer Art" getroffen (H. Scholl). So wagten sie vor Gott und der Geschichte den großen Wurf.

Ihr Verantwortungsgefühl bezog sich unmittelbar auf Deutschland, das sie geschändet sahen: "Nichts ist eines Kulturvolks unwürdiger, als sich von einer verantwortungslosen und dunklen Trieben ergebenen Herrscherclique regieren zu lassen", heißt es in einem der Flugblätter. "Goethe spricht von den Deutschen als einem tragischen Volk, gleich dem der Juden und Griechen, aber heute hat es den Anschein, als sei es eine seichte, willenlose Herde von Mitläufern, denen das Mark aus dem Innersten gesogen wurde." Sie traten an, "eine Erneuerung des schwerverwundeten deutschen Geistes von innen her zu erreichen". Kurt Huber zitierte vor dem Volksgerichtshof Fichte: "Und handeln sollst du so, als hinge / Von dir und deinem Tun allein / Das Schicksal ab der deutschen Dinge, / Und die Verantwortung wär' dein."

Sie verkörperten reines Heldentum, das totale Gegenteil heutiger "Zivilcourage". Zivilcourage traut sich nur im Schutz der Masse hervor, und wenigstens ist sie sich des Einverständnisses der Mächtigen in Politik und Medien sicher. Diese exaltierte Abart des Opportunismus geht nötigenfalls über Leichen, sie würde aber nie ihr Leben an etwas setzen, weil sie nichts hat außer Ressentiments und den Glauben an die eigene Pensionsberechtigung. Das Wort "Held" verweist etymologisch auf den "freien Mann" wie auf den "Hirten". Die Mitglieder der Weißen Rose hatten sich frei gemacht, um für die, die später kommen, das Beste zu hüten. Was aber hüten die Träger von weißen Rosen in diesen Tagen? 


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