© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 08/05 18. Februar 2005

Weg mit den Samthandschuhen
Von Tugendterror und Tugendwächtern: Adnoten zum "Aufstand der Anständigen gegen Rechts"
Andreas Wild

Wenn irgendeine Redeweise den Titel "Unwort des Jahres" verdient, dann das Wort Gerhard Schröders vom "Aufstand der Anständigen gegen Rechts", das nun schon in seine zweite (oder ist es die dritte?) Runde geht. Eigentlich müßte man vom "Unwort der letzten Jahre" sprechen. Die Bildung ist monströs in jeder nur denkbaren Richtung. Sie vergewaltigt die semantische Grundbedeutung, zeugt von sprachlicher Unempfindlichkeit und wird dennoch von höchster Stelle in bewußt aufhetzender Absicht ins Spiel gebracht. Sie trägt massiv zur Verwilderung der politischen Rhetorik bei, ja fordert subkutan zum Bürgerkrieg auf.

Im Grimmschen Wörterbuch kann man nachlesen, daß "der Anstand" von Haus aus nichts anderes als "Friedensschluß" bedeutet. Luther schreibt in seiner Bibelübersetzung, daß die Römer und die Juden "einen Anstand" getroffen, nämlich Frieden miteinander geschlossen hätten. Kaiser Maximilian I. (1459 bis 1519) ermahnte die Venezianer in einem Sendschreiben von 1507, "den Anstand" zu bewahren, also den Frieden einzuhalten, den er kurz vorher mit ihnen vereinbart hatte.

Ein "Anständiger" ist demnach keineswegs einer, der in einer Schlange ansteht, beispielsweise vorm Berliner Kanzleramt, um dort Befehle entgegenzunehmen. Und er ist auch keiner, der mit geladener Flinte einen Anstand bezieht, um von da aus zum Abschuß freigegebene Rehe oder Wildschweine zu erlegen. Er ist vielmehr einer, dem der Frieden über alles geht, allerdings nicht ein Frieden, wie er auf dem Gefängnishof herrscht, wo alle nach einer einzigen Pfeife tanzen müssen, sondern ein Gesetzesfrieden, ein Mit-, Neben- und Gegeneinander unterschiedlichster Meinungen und Interessen, das durch Gesetze geregelt ist, so daß man keine Aufstände zu fürchten braucht.

Anständigkeit meint Gesetzesfrieden, politisch anständig ist, wer sich an die Gesetze hält - das ist die Definition von Anstand, die sich durch die Zeiten zieht. "Ich erwarte von einem Politiker mit Anstand (pudor), daß er auch seinen Feind, sofern der sich an die Gesetze hält, gegen Denunzianten und Verleumder verteidigt", schrieb schon Cicero. Und der in diesen Wochen so sehr gefeierte Montesquieu: "Der Anständige sollte in bedenklichen Zeiten lieber für sich den Narren spielen, als in großer Gesellschaft unter den Lumpen Mitlump zu sein."

Die Lumperei geht los (auch das wußte Montesquieu), wenn in der Rhetorik der Herrschenden die semantischen Grenzen zwischen geltendem Gesetz und dem, was sie selber gerne hätten und deshalb zur Selbstverständlichkeit, zum "Tabu", erklären, systematisch aufgeweicht und verwischt werden. Die Formel, die angestrebt wird, lautet: Tabu = Gesetz. Im Zeichen dieser Formel entfaltet sich das, was seit der französischen Revolution von 1793 als "Tugendterror" bekannt ist. Gesetzestreue genügt dann nicht mehr, man muß dauernd und übereifrig versichern, wie sehr man die aufgerichteten Tabus respektiert, anbetet, sich vor ihnen im Staube windet.

Wer die Anbetung der Tabus verweigert, ist reif für "Maßnahmen". Die Polizei ist mit derlei Maßnahmen freilich überfordert. An ihre Seite treten (siehe den seinerzeitigen Aufstand der Mullahs im Iran) die "Tugendwächter", frei schweifende, nur den Befehlen der Mullahs gehorchende Banden von Zeloten, die jeden als Tabumißachter auffällig Werdenden zur Rede stellen, zernieren, niederbrüllen, zusammenschlagen und ihn schließlich der Justiz zur Weiterbehandlung übergeben, mit der Anzeige, er habe die heiligsten Güter beleidigt und die Tugendwächter provoziert und angegriffen.

Genau von dieser Art ist hierzulande der jetzt vom Bundeskanzler erneuerte Aufruf zum "Aufstand der Anständigen". Eine kleine rechte Partei ist parlamentsfähig geworden, übt sich in scharfer, tabuverachtender und wirkungsvoller Rhetorik, alles im Rahmen parlamentarischer Legalität. Mit Polizei ist ihr nicht beizukommen, und Gesetzesänderungen sind schwierig, müßten sie doch offen und frontal gegen den Geist der Demokratie und der Meinungsfreiheit durchgesetzt werden. Also hetzt man planmäßig zum "Aufstand der Anständigen". Er soll der Erzeugung von Tugendterror dienen, der Rekrutierung von Tugendwächtern, zusätzlich der Anfachung öffentlicher Hysterie, die gebraucht wird, um eine hinreichende Anzahl von Tugendwächtern in Fahrt zu bringen.

Der erste "Aufstand der Anständigen" brach bekanntlich los, nachdem eine Frau, die ihr Kind im Freibad nicht ordentlich beaufsichtigt hatte, so daß dieses im Becken ertrunken war, hysterisch behauptete, "Rechte" hätten das Kind ertränkt. Von den Leitmedien wurde die Mär aus Sebnitz sofort begierig aufgegriffen. Gerhard Schröder empfing die Lügnerin zu feierlicher Audienz im Kanzleramt, legte sein Gesicht vor den Kameras in kummervolle Falten - und rief zum "Aufstand der Anständigen". Glücklicherweise blieb der Aufstand aus, es kam zu keinen bürgerkriegsähnlichen Massenjagden und flächendeckenden Gesetzesverletzungen, die Hysterie beschränkte sich auf die Medien. Sie sprang nicht ins Volk über, das vernünftiger als seine gewählten Vertreter war.

Welches Szenario wird diesmal, im Zeichen des erneuerten Aufrufs, abrollen? Schon hat im Bundestag ein Festredner unterm Beifallsgeheul sämtlicher Fraktionen dazu aufgerufen, beim Umgang mit Rechten "die Samthandschuhe auszuzuziehen", will sagen: den Boden des Gesetzes zu verlassen und zuzuschlagen. Schon werden in voller Unverfrorenheit Ausnahmegesetze gegen rechte Parlamentarier erörtert; man will ihnen die Parteienfinanzierung wegnehmen und ihnen den Zugang zu den Parlamenten verwehren. Hektisch wird vom "Verfassungsschutz" weiter daran gearbeitet, in die rechten Parteien Agent-Provokateure einzuschleusen, welche dort die Rhetorik "anschärfen" und kriminalisieren sollen, um der Justiz Vorwände zum Einschreiten zu liefern.

Der Schaden, den all das Treiben anrichtet, ist beträchtlich. Ein Klima der Bedrückung und des Konformismus hat sich über das Land gelegt, zumal die offizielle Opposition von CDU/CSU mit der Regierung auch in Sachen "Aufstand der Anständigen" unter einer Decke steckt und jeden Dissidenten aus den eigenen Reihen in einer Art innerparteilichem "Aufstand" zur Strecke bringt: siehe die Affäre Hohmann. So schlecht wie im Augenblick stand es mit der Freiheit in der Bundesrepublik seit 1949 noch nie.

Dennoch scheint es auch diesmal wieder nicht zu gelingen, den "Aufstand" ins Volk zu tragen. Das Volk wappnet sich mit Überdruß und Desinteresse. Die "Anständigen" bleiben weitgehend unter sich. Obwohl üppige staatliche und mäzenatische Etats für den "Kampf gegen Rechts" zur Verfügung gestellt sind, wird die Zahl der engagierten Tugendwächter kleiner. Durchaus möglich, daß vom "Aufstand der Anständigen" in absehbarer Zeit nur noch ein schlechter Geruch übrig ist und die Erinnerung an das Unwort der letzten Jahre.


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