© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 08/05 18. Februar 2005

LOCKERUNGSÜBUNGEN
Volkssouveränität
Karl Heinzen

Die Europäische Union äußert sich besorgt über die politische Entwicklung in dem kleinen westafrikanischen Staat Togo. Dort hatte nach dem Tod des bisherigen Präsidenten Gnassingbe Eyadema am 5. Februar dessen Sohn Faure Gnassingbe die Regierung übernommen. Diese Amtsnachfolge sei jedoch, so der schlimme Verdacht, nicht verfassungsgemäß gewesen.

Die Fakten hingegen scheinen eine andere Sprache zu sprechen. Nach der togoischen Verfassung tritt im Falle eines Ablebens des Staatschefs der Parlamentspräsident übergangsweise an dessen Stelle. Zu diesem wiederum wurde Faure Gnassingbe unmittelbar nach dem Tod des Vaters von den Abgeordneten gewählt - der bisherige Amtsinhaber befand sich derweil auf einer Auslandsreise. Zugleich änderten die Parlamentarier die alte Verfassungsbestimmung, die die Übergangspräsidentschaft auf 60 Tage begrenzte und für diesen Zeitraum Neuwahlen vorschrieb. Nunmehr kann Faure Gnassingbe so lange im Amt bleiben, wie es seinem Vater erlaubt gewesen wäre - bis 2008 nämlich.

Sicherlich wurde in Lomé die Verfassungsordnung bewußt modifiziert, um ein gewünschtes Ergebnis zu erzielen. Sie gerät dadurch aber nicht notwendiger­weise in Gefahr. Warum also die Schelte aus Brüssel? Nicht ausgeschlossen werden kann natürlich, daß die Motive realpolitischer Natur sind. Dies würfe allerdings die Frage auf, welches Interesse Europa daran haben kann, einen der wenigen Staaten Afrikas, die nicht als gescheitert angesehen werden müssen, zu destabilisieren.

Wahrscheinlicher ist es da schon, daß die Kritik der EU grundsätzlicher Natur ist. Man will vielleicht, daß die Prinzipien, denen unterdessen selbst in der Ukraine und schon bald möglicherweise auch in Weißrußland Beachtung geschenkt wird, auch in Afrika unwiderruflich gelten. Diese Prinzipien sind jedoch offensichtlich nicht jene des demokratischen Verfassungsstaates. Ein solcher ließe es nämlich zu, daß der Souverän selbst oder aber seine gewählten Vertreter die Regeln des Gemeinwesens dann ändern, wenn ihnen dies angebracht erscheint. Das heutige europäische Verfassungsverständnis hingegen will nicht allein dem Staat die Befugnis absprechen, in die Zivilgesellschaft hinein zu regieren, das heißt die gesellschaftlich Mächtigen in der Ausübung ihrer Macht zu stören. Es untersagt auch dem Volk, seine staatliche Ordnung in tatsächlich allen Punkten nach eigenem Ermessen zu gestalten. Diese Souveränität wird den Bürgerinnen und Bürgern wohl eher in Togo zuerkannt als in Europa.


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