© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 09/05 25. Februar 2005

Die Welt bereist, den Himmel gesucht
Christliches Welttheater: Vor fünfzig Jahren starb der französische Dichter, Diplomat und Bibelexeget Paul Claudel
Werner Olles

Paul Claudels Werk gliedert sich ebenso wie sein Leben in vier Abschnitte: 1886 bis 1905 erste Theaterstücke und theoretisch-betrachtende Schriften; 1906 bis 1924 lyrische und dramatische Hauptwerke; 1924 bis 1935 zahlreiche Essays und nach 1935 Überarbeitung des dramatischen Werks und Beschäftigung mit der Heiligen Schrift. Besonders letzteres trug ihm das Etikett ein, neben Georges Bernanos und Charles Peguy zu den bedeutendsten Vertretern des "Renouveau Catholique" zu gehören.

Am 6. August 1868 in Villeneuve-sur-Fére (Aisne) geboren, kam der aus kleinbürgerlichen Familienverhältnissen stammende Paul-Louis-Charles-Marie Claudel 1882 nach Paris. Hier vollendete er am Lycée Louis-le-Grand seine klassischen Studien. Im Alter von 18 Jahren erlebte er eine zweifache Erschütterung: Er entdeckte Rimbaud und fand am Weihnachtstag zum Katholizismus zurück.

Sein an Shakespeare und Aischylos erinnerndes Drama "Goldhaupt" läßt in seiner düsteren, leidenschaftlichen Atmosphäre die inneren Kämpfe Claudels unmittelbar nach seiner Konversion ahnen. In "Mittagswende" haben seine Helden, ein junger Mann und eine junge Frau, im Feuer der Leidenschaft die Bewährungsprobe ihrer Liebe zu bestehen. Das Paar Mésa und Ysé scheint ein modernes und christliches Gegenbild zu Tristan und Isolde zu sein, endet jedoch nicht in Hoffnungslosigkeit, sondern darf auf einen Weg der Gnade hoffen.

Claudels Eintritt in den diplomatischen Dienst führte ihn zunächst in die USA, wo er an den französischen Konsulaten in Boston und New York tätig war. Nach Frankreich zurückgekehrt, wurde er bald darauf nach China berufen und verbrachte hier, mit kurzen Unterbrechungen, vierzehn Jahre.

Fernöstliche Landschaften als Symbole der Harmonie

Während seines ersten Aufenthaltes in Shanghai, Foutschou und Hankou befaßte er sich intensiv mit Thomas von Aquin und spielte längere Zeit mit dem Gedanken, Geistlicher zu werden. Zwar kam er von diesem Plan wieder ab, nachdem er in eine schwere persönliche Krise geraten war, doch atmeten seine Werke, vor allem die Dramen, von nun an den Geist eines radikalen, ja rigorosen Katholizismus.

Dabei stand er der christlichen Sozialbewegung und dem Modernismus denkbar fern, sein Einfluß auf das Geistesleben wie auch auf die sakrale Kunst war jedoch beträchtlich. Hier traf er sich mit Peguy, den er persönlich gar nicht kannte, und Bernanos, den er entschieden ablehnte. Dennoch sind seine Ausführungen zur "Theologie der Ehe" und zur "Rehabilitation des Fleisches" bemerkenswert. Claudel verstand den Katholizismus als Religion der Inkarnation des Fleisches und der Bejahung des Sinnlichen, die beide von Natur aus schuldlos und daher von Gott geheiligt sind.

Seine Erlebnisse in China faßte Claudel in der Sammlung dichterischer Prosa "Aus der Erkenntnis des Ostens" zusammen, in der er Landschaften und Bauwerke des Fernen Ostens, die für ihn Symbole irdischer Harmonie darstellen und auf eine unsichtbare Welt hindeuten, mit großer Genauigkeit beschreibt. Sein zweiter China-Aufenthalt (Foutschou, Kuliang) war dagegen eher arm an Werken. Während eines Urlaubs in Frankreich heiratet er Reine Sainte-Marie-Perrin. In dieser Zeit begann seine große schöpferische Periode. Als Konsul in Prag, Frankfurt am Main und Hamburg, als Leiter einer Wirtschaftsdelegation in Rom und schließlich als Botschafter in Tokio schuf er den Großteil seiner dichterischen und dramatischen Werke. "Das harte Brot" und "Der seidene Schuh" entstanden in diesen Jahren. Während "Das harte Brot" vom Schicksal der Nachkommen unter Louis-Philippe erzählt, ist "Der seidene Schuh" die dramatische, dichterische und religiöse Summe von Claudels Werk, alle Motive seiner früheren Arbeiten scheinen hier vereinigt. Der Dichter läßt das Drama in der Zeit der Gegenreformation spielen und schlägt dann eine Brücke zwischen dem Mittelalter und der Moderne. Von Amerika bis Asien bezieht er fast alle Weltgegenden ein, und die Vielzahl der handelnden Personen, von der Fleischhauerin bis zum König von Spanien, die Mischung aus reiner Lyrik und Humor und der Reichtum an Geschehnissen machen es zu einer modernen Form des christlichen Welttheaters. Claudels Sprache erinnert hier stark an Shakespeare und Calderón, ähnelt bisweilen aber auch der Bibel und reicht von pathetischen und leidenschaftlichen Ausbrüchen bis zum schlichten Gebetsstil.

André Gide ließ sich nicht zum Glauben bekehren

Nach seinem Mißerfolg an der Académie française zog Claudel sich aus dem diplomatischen Dienst zurück, wurde zum Exegeten und veröffentliche "Das Buch Job" und "Einführung in die Apokalypse". Nebenbei überarbeitete er seine Dramen. Mit der Erstaufführung des "Seidenen Schuh" an der Comédie Française wurde sein Ruhm als Dramatiker gleichsam bestätigt, und schließlich glückte auch seine Wahl in die Academié française. In den eigenwilligen Gedichten "Fünf große Oden", reimlosen Verse und freien Rhythmen, spiegeln sich die Qualen und Freuden dieser für Claudel ereignisreichen Zeit wider. Ihr Nebeneinander von Persönlichem und Kosmischem, Zartem und Gewalttätigem, von Revolte und Demut stellt einen Höhepunkt seiner Lyrik dar.

Die gewaltsamen Veränderungen, die die Geburt der modernen Gesellschaft begleiten, schildert Claudel in "Der Bürge". Diese Darstellung des menschlichen Seins in seiner Totalität floß auch in seinen Briefwechsel mit André Gide ein. Die Korrespondenz der beiden großen Schriftsteller, die zwei verschiedene Richtungen französischen Geistes vertraten, wurde 1949 veröffentlicht. Mit großer Ausdauer und Hartnäckigkeit versuchte Claudel, Gide zum Glauben zu bekehren, was angesichts dessen epikuräischem Hedonismus, seiner Absage an die überlieferte Moral und seiner individualistisch-liberalen Lebenseinstellung schwerlich gelingen konnte. Gleichwohl zeichnet Claudel auch in diesem Briefwechsel eine zeitlose christliche Welt, in der die göttliche Gnade die Seelen in der ehrfurchtsvollen Durchdringung des Leidensgeheimnisses Christi durch das Kreuz zur Freude führt. Am 23. Februar 1955 starb Paul Claudel mit 86 Jahren in Paris.


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