© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 10/05 04. März 2005

Peinliche Akten aus dunklen Zeiten
Europa: In den postkommunistischen Ländern wird mit dem Material des ehemaligen Unterdrückungs- und Geheimdienstapparates unterschiedlich umgegangen
Ekkehard Schultz

Die kommunistischen Geheimdienste in den ehemaligen Ostblock-staaten waren Unterdrückungsinstitutionen, die sich in erster Linie gegen die eigene Bevölkerung richteten. In ihre Fänge geriet jeder, gegen den auch nur ansatzweise der Verdacht gehegt wurde, "Gegner" der sozialistischen Ordnung zu sein, aber auch vollkommen unbeteiligte Bürger. Ihr Aufbau erfolgte nach dem sowjetischen Vorbild - was die Zusammenarbeit sehr vereinfachte.

Nicht nur in der DDR, sondern auch in den meisten anderen kommunistischen Staaten waren es in erster Linie die Bürgerrechtler, die bereits im Zuge der gesellschaftlichen Umbrüche der späten achtziger und frühen neunziger Jahren für die Sicherung des Aktenmaterials der Geheimdienste eintraten und sich auch für einen breiten Zugang der Öffentlichkeit zu diesem Material stark machten. Dennoch verlief die Aufarbeitung dieses wichtigen Teils totalitärer Vergangenheit danach sehr unterschiedlich: Dies hatte zum einen politische Gründe, etwa den Widerstand der gewendeten kommunistischen Parteien, die nach der kurzen Phase des Machtverlustes die Geschicke der Länder zumindest mitbestimmen wollten.

Ein weiterer Faktor war das nahezu komplette Fehlen eines demokratischen Bürgertums nach vielen Jahrzehnten kommunistischer Herrschaft, welches als glaubwürdige Instanz diese Forderungen hätte unterstützen können. Zudem herrschte in einigen Ländern, etwa in Polen, in den neunziger Jahren in der Bevölkerung die Mehrheitsmeinung, daß eine schnelle "nationale Versöhnung" mit den Tätern im Interesse der Nation liege und einen guten Übergang zu Demokratie und Marktwirtschaft erleichtere. Vor den wenigen Bürgerrechtlern und ihren kleinen Institutionen lag so zunächst eine steinige Zeit, in der mühselig Überzeugungsarbeit geleistet und zahlreiche Kontakte zu möglichen Unterstützern ihrer Anliegen geknüpft werden mußten.

Slowakische Stasi-Akten im Internet zugänglich

Schon aus diesen Gründen galt bis Ende der neunziger Jahre die Aufarbeitung in Deutschland, wo das Recht auf Zugang der Bürger zu den Akten bereits von der letzten Volkskammer beschlossen wurde und schließlich auch im Einigungsvertrag durchsetzt werden konnte, als ein beneidetes Vorbild. Doch in den letzten fünf Jahren haben andere Länder in diesem Bereich erfolgreich aufgeschlossen und teilweise die Bundesrepublik im Hinblick auf Zugang, Publikation und freie Verfügbarkeit der Akten überholt. So hat das Institut für nationale Erinnerung (UPN) in Preßburg (vergleichbar mit der Birthler-Behörde) bereits 2004 beschlossen, das Register aller Namen von Mitarbeitern bzw. Agenten des slowakischen kommunistischen Geheimdienstes StB (Státní Bezpecnost) im Internet zugänglich zu machen. Seit Anfang der letzten Woche sind nunmehr diese Daten unter der Adresse www.upk.gov.sk  komplett für die ostslowakischen Regionen (Kaschau/Kosice/Kassa, Neusohl/Banská Bystrica/Beszterczebánya) einsehbar. Die Veröffentlichung der Daten für die anderen Landesteile, wie die West- und Mittelslowakei soll in den nächsten Monaten erfolgen. Dokumentiert wird neben der Registriernummer des Mitarbeiters bzw. Agenten Vor- und Familienname, Geburtsjahr, Bereich der Anstellung sowie die konkrete Tätigkeit/Funktion.

Nicht nur direkt Betroffene - Täter und Opfer - sondern jeder Erwachsene ab 18 Jahren - egal ob In- oder Ausländer - kann sich aufgrund dieser Listen ohne Begründung Kopien der gesamten Akten jedes Agenten vorlegen lassen. Nur intime Informationen über Dritte, wie etwa über sexuelle Vorlieben und Kontakte sind in den Kopien geschwärzt.

Im Zuge dieser breiten Öffnung der StB-Akten konnte bereits ein Abgeordneter als ehemaliger Mitarbeiter des Geheimdienstes enttarnt werden. Der auf der Liste der wirtschaftsliberalen Allianz des neuen Bürgers (ANO) ins slowakische Parlament in Preßburg gewählte Jozef Banás - heute Mitglied der bürgerlichen SDKU von Premier Mikulás Dzurinda und zudem Vizechef der Parlamentarischen Versammlung der Nato-Staaten - mußte nach der Veröffentlichung des StB-Registers einräumen, über viele Jahre Publizisten als StB-Agent bespitzelt zu haben.

Polnische Liste mit etwa 240.000 Spitzeln öffentlich

Auch in Polen ist momentan eine Liste mit den Namen von etwa 240.000 hauptamtlichen Mitarbeitern und Agenten des früheren kommunistischen Geheimdienstes SB, des polnischen Äquivalents zur deutschen Stasi, ein gefragter Bestseller. Seit Anfang Februar ist sie sowohl in Zeitungsredaktionen und im Internet einsehbar, als auch im Buchhandel erhältlich. Die Liste stammt aus dem Bestand des Instituts für nationale Erneuerung (IPS) - ebenso vergleichbar mit der Birthler-Behörde, wenngleich weitaus kleiner und mit einem minimalen Budget ausgestattet. Für die Verbreitung sorgt der ehemalige Dissident Wildstein - zuletzt Mitarbeiter der Zeitung Rzeczpospolita - der sich schon seit langem dafür einsetzt, die SB-Aufarbeitung in Polen zu beschleunigen. Die Liste mit den 240.000 Namen wurde von ihm in der IPN heimlich kopiert. Da es in Polen keine Überprüfung von Parlamentariern nach einer eventuellen Mitarbeit im Geheimdienst wie in Deutschland gab, kann mit größeren Überraschungen gerechnet werden. Problematisch ist allerdings, daß bislang nicht auszuschließen ist, daß sich in der Liste auch eine größere Zahl von bespitzelten Opfern befinden kann. Damit ist vor allzu schnellen Verurteilungen lediglich auf der Grundlage dieses Dokuments zu warnen.

In der baltischen Republik Litauen wird dagegen der entgegengesetzte Weg beschritten. Die dortige Regierung beschloß 2004 ein neues Archivgesetz, wodurch ab Januar 2005 alle Akten des KGB nach ihrem Entstehungsdatum 70 Jahre lang unter Verschluß gehalten werden müssen. Nach einer Phase des relativ liberalen Aktenzugangs wird damit eine weitere wissenschaftliche Aufarbeitung der Besatzungs- und Okkupationszeit nahezu unmöglich gemacht.

Ex-Mitarbeiter des sowjetischen Geheimdienstes - die bislang zum Beispiel bei einer parlamentarischen Tätigkeit - eine Konfrontation mit ihrer Vergangenheit fürchten mußten, werden so in Zukunft wahrscheinlich vollkommen unbehelligt bleiben, außer eine neue parlamentarische Mehrheit ändert dies.


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