© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 10/05 04. März 2005

Moskaus schwarzer Hinterhof
Moldawien: Die Wahlen am 6. März werden der russischen Außenpolitik wohl keine weitere herbe Niederlage bescheren
Martin Schmidt

Moldawien ist ein europäischer Krisenherd, dessen Konturen sich weitgehend jenseits der Wahrnehmung der deutschen Öffentlichkeit abzeichnen. Um das alte Bessarabien und das von diesem abgespaltene Transnistrien gibt es seit über einem Jahrzehnt einen zähen Machtpoker. Die wichtigsten Gegenspieler sind Rußland, die USA, die EU, Rumänien und die Ukraine.

Das bis dahin sowjetische Moldawien erklärte im August 1991 die Unabhängigkeit. Eine territoriale Erblast der Moskauer Fremdherrschaft bereitet seither größte Sorgen: Stalin schlug dem 1940 von Rumänien weggenommenen Bauernland 1953 einen schmalen, aber hochindustrialisierten Landstrich ukrainischen Gebietes östlich des Dnjestr hinzu und ernannte beides gemeinsam zu einer neuen Sowjetrepublik.

Der vergessene "kleine Bruder" Rumäniens

Doch ebenso wie die "multikulturelle" Sowjetunion im Großen erwies sich auch die Moldawische Sozialistische Sowjetrepublik nicht als dauerhaft. Nachdem slawische Sezessionisten im Dezember 1991 unter der Obhut der in der Gebietshauptstadt Tiraspol stationierten 14. Sowjet-Armee ein "Unabhängigkeits-Referendum" vorbereitet hatten, eskalierte der Konflikt. Im Folgejahr kam es zum Bürgerkrieg zwischen der rumänisch geprägten "Republik Moldau" und der "Dnjestr-Republik", die fortan politisch faktisch selbständig und wirtschaftlich eng mit Rußland und der Ukraine verknüpft war.

Für mehrere Jahre blieb dann folgende Konstellation maßgeblich: In Moldawien gab es eine zum Teil heftige Auseinandersetzung über das Selbstverständnis. War man der "kleine Bruder Rumäniens", dessen Wiedervereinigung mit dem Mutterland nur eine Frage der Zeit ist? Oder fühlte man sich als eigener Staat mit einer in Jahrzehnten politischer und kultureller Fremdbestimmung sowie slawischer Massenzuwanderung entstandenen eigenen Kultur?

In Transnistrien, das zu etwa je einem Drittel von teils russifizierten Ukrainern bzw. Rumänen und Russen bevölkert ist, schien alles einfacher: Man konservierte das Sowjeterbe - Lenindenkmäler sind bis heute allgegenwärtig - sowie die Rolle als wichtiger Außenposten des russischen Militärs, die Schutz vor einem Übergriff aus Moldawien verhieß, das an seinen Ansprüchen auf Transnistrien festhielt.

Spätestens ab der Jahrtausendwende begannen sich die Verhältnisse jedoch zu ändern. Moldawien hatte sich vom rumänischen Erbe gelöst. Mit der Parlamentswahl vom Februar 2001 gelangten sogar die orthodoxen Kommunisten an die Macht. Der neue Regierungschef Vladimir Voronin versprach einen "Schutzwall gegen die Nato" zu errichten und Russisch zur zweiten Amtssprache zu machen. Doch auch die Vereinigten Staaten bekamen in Moldawien einen "Fuß in die Tür". Als Türöffner dienten unter anderem das Engagement der verbündeten Türkei im Süden des Landes, wo das Turkvolk der Gagausen beheimatet ist, und das US-freundliche Rumänien.

Zur selben Zeit leistete die Führung der Dnjestr-Republik unter ihrem "Präsidenten" Igor Smirnov hinhaltenden Widerstand gegen den von Rußland hingenommenen, von der Ukraine, der EU und den USA geforderten bzw. finanziell schmackhaft gemachten Abzug der 14. Sowjet-Armee. Reste dieser einst über 20 000 Mann starken Armee sowie große Mengen an Waffen und Munition befinden sich bis heute in Transnistrien, obwohl der vollständige Abtransport vertragsgemäß Ende 2002 abgeschlossen sein sollte.

Wiederholung der Wahlen wie in der Ukraine denkbar

Zuletzt mußte Moskau weitere Demütigungen hinnehmen, denn der erst als Unterstützer geltende "rote" Voronin erweist sich als widerspenstiger, zunehmend um ein westliches Image bemühter Politiker. Entsprechend gereizt sieht man in Moskau den am 6. März stattfindenden moldawischen Parlaments- bzw. anschließenden Präsidentschaftswahlen entgegen (das Staatsoberhaupt wird indirekt von den Abgeordneten bestimmt), zumal - nach den revolutionären Umwälzungen in Georgien und der Ukraine - eine weitere außenpolitische Pleite in Form einer eindeutigen Westausrichtung droht.

Oppositionsführer Iurie Rosca von der Nationalen Christlich-Demokratischen Partei (PPCD), die im Wahlkampf analog zur Ukraine in Orange auftritt und von den US-Beratern unterstützt wird - gibt sich zuversichtlich. Allerdings glaubt er nicht daran, daß am 6. März eine Partei die erforderliche Drei-Fünftel-Mehrheit von 61 der 101 Parlamentssitze erringen kann, die zur Kür des Staatspräsidenten nötig ist.

"Wir glauben, daß nur eine Wiederholung der Wahlen zu einer radikalen Änderung der Machtverhältnisse im moldauischen Parlament führen kann", erklärte Rosca. Laut Verfassung kommt es in der Republik Moldau zu vorgezogenen Neuwahlen, wenn die Wahl des Präsidenten in der Volksvertretung drei Mal hintereinander scheitert. Vom russischen Satellitenregime in Tiraspol wurden für den Fall eines weiteren Machtzuwachses der westorientierten bzw. rumänientreuen Kräfte bereits schwere rhetorische Geschütze aufgefahren. Nach Beratungen in Moskau drohte Igor Smirnow der Republik Moldawien mit dem "endgültigen Abbruch" der Beziehungen. Auch die Ukraine bereitet den Separatisten in Tiraspol zunehmend Kopfschmerzen.

Hinsichtlich Moldawiens und der "Dnjestr-Republik" gehen die neuen Machthaber in Kiew auf Tuchfühlung zur US- und EU-Politik. Man ist um eine rasche Verbesserung der Beziehungen zu Chisinau bemüht. Die von den moldawischen Behörden im Oktober 2002 am Dnjestr einseitig errichtete Zollgrenze, die einen monatelangen "Zollkrieg" zwischen den beiden wirtschaftlich daniederliegenden Ländern zur Folge hatte, wird nicht mehr kritisiert beziehungsweise teilweise schon aktiv unterstützt.

Doch auch wenn derzeit in Bessarabien die USA, die EU und Rumänien am Gewinnen sind, sollte man sich nicht täuschen. Eine Wiedervereinigung der mit einem Durchschnittseinkommen von unter 60 Euro im Monat völlig verarmten Republik Moldau - kein anderes europäisches Land steht wirtschaftlich derart schlecht da - mit dem "großen Bruder" Rumänien steht noch nicht auf der Tagesordnung. Obwohl diese Option aus vielen Gründen als die beste erscheint. Der Kreml besitzt nach wie vor einige Trümpfe - vor allem den Einfluß des Energieriesen Gazprom und die "ethnische Karte", also die fortbestehende Sympathie des slawischen Bevölkerungsteils beiderseits des Dnjestrs.


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