© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 10/05 04. März 2005

Öko-Urlaub neben den Windrädern
Energiepolitik: Vor Ost- und Nordseeküste sind große Windparks geplant / Auswirkungen auf Vögel, Fische und Schiffahrt unklar
Steffen Königer

Bislang "zieren" mehr als 15.000 Windräder, die zwölf Gigawatt Strom erzeugen, die deutschen Landschaften. Frankreich und Belgien bringen es nur auf 0,147 beziehungsweise 0,046 Gigawatt. Seit Rot-Grün 1998 in Berlin die Macht übernahm, schafft man Fakten, man will die Kernkraft durch alternative Energien so gut wie ersetzen können. Jedoch haben die Windkraftwerke auch Schattenseiten.

Ein Fakt bleibt, daß nicht nur wirtschaftliche Standorte ausgesucht wurden. Windkraftwerke stehen zum Teil in Gegenden, die nie für einen wirtschaftlichen Betrieb von Windkraftwerken ausreichen können, da statistisch die Windhäufigkeit nicht ausreicht. So mancher Bauer gab sein Land gern, da es Zuschüsse vom Staat gab. So konnte geschehen, daß jeder der angeblich fast 40.000 neuen Windkraftarbeitsplätze mit jeweils 21.750 Euro vom Staat finanziert wurde - der Strom aus den Rotoren ist trotzdem der teuerste. Selbst der wissenschaftliche Beirat von Wirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) erklärte die Förderung der bundesweiten Rotorenfelder zum "ökologisch nutzlosen und volkswirtschaftlich teuren Instrument", welches "konsequenterweise abgeschafft" werden müßte.

Nachdem dem Bundesumweltministerium im letzten Jahr jedoch das Instrument der Subventionierung an Land durch die EU genommen wurde, verlegte sich Jürgen Trittin kurzerhand auf die großzügige Planung auf See: Der Grüne möchte, daß bis 2030 etwa 4.000 Windräder im Meer stehen. Sie sollen 70 bis 85 Gigawattstunden Strom erzeugen, das wäre etwa die Hälfte der Energie aller heutigen Atomkraftwerke.

Die Masten für die Windräder sollen 80 bis 164 Meter hoch sein und im Abstand von 300 bis 500 Metern aufgestellt werden. Da sie bis zu 100 Kilometer vom Land entfernt stehen, machen Überwachungs- und Übertragungstechnik die Windräder auf hoher See um ein vielfaches teurer als ihre Brüder an Land. Bis zu zehn Millionen Mark, so schätzen Experten, wird ein einziges seetüchtiges Windrad kosten. Die Genehmigungspflicht liegt außerhalb der Zwölf-Seemeilen-Zone beim Bundesamt für Seeschiffahrt und Hydrographie (BSH), innerhalb bei den Landes- und Bezirksregierungen.

Über das Internationale Wirtschaftsforum Regenerative Energien (IWR) können interessante Details in Erfahrung gebracht werden. So sind in der Nordsee (außerhalb der Zwölf-Meilen-Zone und von Naturschutzgebieten) 28 Windparks anvisiert. Darunter riesige Felder wie zum Beispiel "Borkum Riffgrund-West" mit 458 Rotoren, rund 45 Kilometer nordwestlich von Borkum oder der "Hochsee-Windpark Nordsee", bei dem sich 508 Windräder 75 Kilometer nördlich von Borkum drehen. Das Projekt "Sandbank 24", rund 100 Kilometer westlich von Sylt, wird mit seinen 980 Spargeln wahrscheinlich sogar aus dem Weltraum zu sehen sein.

"Windkraft hat zur Zeit das größte Wachstumspotenzial unter den erneuerbaren Energien", so der Bundesumweltminister vor den Wahlen 2002. Und die Bundesländer ließen "wachsen". Am Dienstag vorletzter Woche gab Mecklenburg-Vorpommern als erstes Bundesland den Startschuß: das Raumordnungsverfahren sei abgeschlossen, triumphierte Agrarminister Helmut Holter (PDS). Der Windpark "Baltic I" mit 21 Windrädern 10 Kilometer nördlich von Darßer Ort kann gebaut werden.

Es ist ein Projekt zum Bau und zum Betrieb eines Offshore-Windparks innerhalb der Zwölfmeilenzone der Ostsee nördlich der Halbinsel Fischland-Darß-Zingst. Die rot-rote Landesregierung kommt aus dem Jubeln nicht mehr heraus. Die entstandenen Schlagzeilen in der Ostseezeitung und der Bild lesen sich wie Propaganda: "Öko-Urlaub neben dem Windrad", "Keine Auswirkungen empirisch belegt" oder "Windkraft-Tourismus" zeugen von relativ einseitiger Beleuchtung des Bauvorhabens. Gegner, wie der Tourismusverband Fischland-Darß-Zingst, werden schnell als "technologiefeindlich" und "hinterwäldlerisch" abgestempelt.

Als "abstruse Vorstellung" bezeichnete der Direktor des Tourismusverbandes Fischland-Darß-Zingst, Fried Krüger, gegenüber der jungen freiheit den erwarteten Zustrom von Windkrafttouristen. Gegen das "künstliche Hindernis" unweit des Ostsee-Nationalparks Vorpommersche Boddenlandschaft werde nunmehr überprüft, ob es zu Verfahrensfehlern gekommen sei, so Krüger im Gespräch.

An Land wird der nun entstehende Windpark nur in der Ferne wahrgenommen werden. Also viel Lärm um nichts? In Deutschland sind die Auswirkungen der Windräder auf Vogelflug, Fische und Schiffahrt jedoch nicht vollkommen erforscht. Und hier geht der Streit bei "Baltic I" erst richtig los. Das Hauptproblem kann die nicht einmal zwei Seemeilen entfernte Kadetrinne werden. Durch die Hauptverkehrsader der Ostsee fahren täglich 105 Schiffe, unter denen 4 bis 5 große Öltanker sind. Auch die vor Spanien gesunkene "Prestige" fuhr vor ihrer Havarie dort entlang. Nicht auszudenken, wenn bei schwerem Seegang ein Tanker auf die Fundamente auflaufen würde.

Ein weiteres Argument der Windkraftgegner sind die Vogelzuglinien in diesem Gebiet. Im Herbst kommen Zehntausende Besucher, um den Kranichzug zu beobachten. Bedenken wurden beschwichtigt. Die Betreiber würden in den Hauptzugzeiten die Windräder für einige Tage abstellen. Aber selbst die Konsequenzen von stillstehenden Rädern sind nicht erforscht, wie Ornithologen warnen.

Eine jüngst veröffentlichte Studie des Ostseeinstituts für Marketing, Verkehr und Tourismus an der Uni Rostock kam zu dem Ergebnis, daß davon ausgegangen werden kann, "daß die geplanten Offshore-Projekte im Ostseeraum keine deutlich erkennbaren Auswirkungen auf den Tourismus haben werden", heißt es im Fazit der Studie und weiter: "Vielmehr sind beim richtigen Angehen der Thematik positive Imageeffekte für das Tourismusland Mecklenburg-Vorpommern zu erwarten." Der Fraktionschef der CDU in Mecklenburg-Vorpommern, Eckard Rehberg, hält diese Ergebnisse jedoch für falsch, da diese Studie von einem landeseigenen Institut erstellt worden ist.


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