© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 10/05 04. März 2005

Pankraz,
das Fegefeuer und der Intellektuelle im Paradies

Einfälle muß man haben. Kürzlich gab es (in der Zeitschrift Merkur) einen Essay-Wettbewerb zum Thema "Warum ich das Mittelalter um die Vorstellung des Fegefeuers beneide". Die Einsendungen waren ziemlich kläglich, nicht zuletzt deshalb, weil die Einsender gar keine präzise Vorstellung vom Fegefeuer hatten. Sie verwechselten es entweder mit der Hölle oder versuchten, es ganz ohne Hölle und Teufel zu denken.

Dabei war das Fegefeuer nach damaliger Lehre ein fester Bestandteil der Hölle, nämlich der erste und oberste "Höllenkreis". Dieser wurde im Jahre 1439 auf dem Konzil von Florenz, an dem faktisch sämtliche damalige (Früh-)Humanisten inklusive Nikolaus von Cusa teilnahmen, eigens und hochoffiziell installiert. Purgatorium war sein lateinischer Name. Ins Purgatorium kamen die läßlichen Sünder, die an sich gute Kerle oder patente Mädchen waren, sich jedoch zu Lebzeiten hier und da mal Fehltritte geleistet hatten, welche sie nun gewissermaßen abzusitzen hatten.

Das Purgatorium war kein Feuer, es glich etwa dem, was sich die alten Griechen unter den "Asphodeloswiesen" vorgestellt hatten: karges, jammervolles Gelände, eine Art Zuchthausfreigang, der sich freilich abkürzen ließ, indem die Verwandten oder Freunde des teuren Verblichenen oben auf der Erde Ablaß zahlten. "Sobald das Geld im Kasten klingt, / Die Seele aus dem Fegefeuer springt." Diese Anschauung war für Martin Luther und die anderen Reformatoren einer der ersten und schlimmsten Steine des Anstoßes, sie hat via Empörung und Polemik die Weltgeschichte ins Rollen gebracht.

Auch die tieferen Höllenkreise waren übrigens nicht unbedingt für die Ewigkeit gemacht; es gab über die Verweildauer in der "ewigen Verdammnis" unter den Gelehrten stets divergierende Meinungen, wenn auch oft hinter vorgehaltener Hand. Die Hölle des Mittelalters war kein wüstes Chaos, sie glich vielmehr einem gut durchorganisierten Wirtschaftsunternehmen, das fleißig Abschreckungspotentiale produzierte und so zur Stabilisierung sowohl der Lebenswelt wie der diversen weltlichen und geistlichen Herrschaften beitragen sollte.

Ihr Chef und Hauptteufel verwaltete ein großes Schuldbuch, in dem alle Sünden der Menschen eingetragen waren, so daß man gleich wußte, in welchen Kreis der Sünder hinabgestoßen werden mußte, sobald er gestorben war. Da es die an sich größte Strafe, die denkbar ist, die Todesstrafe, nicht mehr geben konnte, lief alles auf Folter, einerseits auf Schmerzzufügung, andererseits auf Seinsverweigerung hinaus.

Schmerzzufügung - das war dauerndes Zersägtwerden, Zerrissenwerden, Ohrenabschneiden, Eingeweideherausreißen, mit Würmern, Schlangen oder Fröschen gefüttert werden; partielle Seinsverweigerung - das waren die gewissermaßen feineren Strafen, die besonders an Intellektuellen exekutiert wurden, wie man bei Dante Alighieri nachlesen kann, und die man faktisch alle aus der antiken Mythologie übernommen hatte.

Da gab es also die Qualen des Tantalus, wie sie uns Odysseus im elften Gesang mitteilt: Tantalus hat ständig Durst und Hunger, obwohl oder weil er von köstlichsten Früchten und Wassern umgeben ist. Doch sobald er sich bückt, um zu trinken, fließt das Wasser weg, und sobald er nach einer Frucht an einem Zweig greifen will, weht der Wind den Zweig weg.

Oder da gab es Sisyphos, der einen Stein den Berg hinaufrollen muß und es doch nie schafft. Da gab es die Danaiden, die in durchlöcherten Fässern Wasser zu einer ausgetrockneten Quelle transportieren müssen. Im heutigen Volksglauben oder in der Karikatur sind von alledem nur die Kessel mit brühheißem Wasser übriggeblieben, die über gewaltigem Feuer hängen, welches ständig von kleinen Teufeln geschürt wird, und in denen die Sünder zu Suppe verkocht werden.

Den Teufel selbst stellte man sich etwa vor wie den antiken Hirtengott Pan. Er ging zwar aufrecht und hatte menschliche Arme und einen menschlichen Oberkörper, aber sonst sah er wie ein Ziegenbock aus, mit zynischer Visage, zwei Hörnern auf der Stirn, einem Ziegenbart und einem langen Schwanz, der allerdings eher ein Kuh- oder Eselsschwanz mit Quaste war. Keine Spur von beauté de Diable à la Baudelaire.

Die höllische Belegschaft verrichtete einen harten Job, der zerfiel in Innendienst und Außendienst. Im Innendienst mußte die ganze Palette der Folterwerkzeuge und Foltersituationen in Funktion gehalten werden, denn sie funktionierten nicht von selbst; die automatisierte Hölle war noch nicht erfunden. Der Außendienst war aber fast noch strapaziöser. Unermüdlich mußten die negativen Heerscharen unterwegs sein, um die Menschen zu provozieren und zu versuchen.

Sie mußten mit Schutzengeln kämpfen, die den Sündern trotz deren Sündhaftigkeit die Treue hielten, sie mußten als Krankheitserreger in irgendwelche Seelen hineinfahren oder als Gespenster den nächtlichen Friedhofsbegehern Angst machen. Und das alles ohne jeglichen Lohn. Denn der Lohn des Bösen besteht eben im Bösen, man kriegt keinen Heller darüber heraus, sonst würde man ja etwas Gutem die Hand reichen, und das ist einem Teufel von Seins wegen verwehrt.

Letztlich lief es darauf hinaus, daß einzig die Teufel die Gelackmeierten und eigentlich Bestraften waren. Sie kriegten nie etwas, nicht einmal eine Strafe, an welche man sich ja, wie schrecklich sie auch sein mag, durchaus gewöhnen und nach der man regelrecht süchtig werden kann. Zu beneiden gibt es nichts. Höllenstrafen und Fegefeuer schrecken kaum einen Übeltäter wirklich ab, es sind vielmehr die Verheißungen auf "Freuden im Paradies", die, wie bekannt, viele und vielleicht sogar die größten Übeltaten in Fahrt bringen.

Merke: Nicht Hölle und Fegefeuer, sondern die Paradiesesfreuden sind unser Problem. Darüber bitte einen Essay-Wettbewerb!


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