© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 10/05 04. März 2005

Rock'n'Popmuseum: Zentrale zur Pflege bundesdeutscher Kultur
Ein Begräbnis erster Klasse
André Hagel

Die Leiche war noch warm, das Messer rot, da trat in jenem denkwürdigen Jahr 1998, in dem Gerhard Schröder Bundeskanzler wurde und nicht alles anders, aber vieles besser machen wollte, die Hamburger Frauenband "Die Braut haut ins Auge" ein letztes Mal ans Mikro und verkündete das Ableben der Popmusik: "Pop ist tot/Und ich singe auf seinem Grab sein letztes Loblied!"

Damals war das noch ein Stück weit Koketterie. Pop hieß noch so, weil er populär war. In jenem denkwürdigen Jahr 2005 allerdings, in dem Gerhard Schröder nichts mehr besser machen will und alles nur noch schlimmer kommt, scheint das Dahinscheiden zumindest der deutschen Popmusik nur noch eine Frage der Zeit zu sein. Einer kurzen Zeit: Plattenfirmen kopulieren und fusionieren was das Zeug hält, und anstatt im Zuge ihrer Vereinigungsakte frischen Nachwuchs zu zeugen, werden sogar die bereits vorhandenen deutschen Künstlerkinder im Namen der Globalisierung wie Hänsel und Gretel im heimischen Mischwald ausgesetzt.

Untergehende Kultur gehört ins Museum

In den vergangenen Monaten haben deutsche Musiker gleich reihenweise ihre Plattenverträge verloren. Ob Warner Bros. oder Bertelsmann: Die Musikindustrie will nur noch Megaseller. Der Rest mag zum Sozialamt pilgern. Die Plattenindustrie wird immer stiefmütterlicher, die Sinuskurve des deutschen Pop immer flacher.

Untergehende Kultur gehört ins Museum, wo sich nachwachsende Generationen dann eines Tages darüber wundern können, was alles vor ihrer Zeit möglich war. Und so scheint es auf den ersten Blick auch, als sei das Rock'n'Popmuseum in Gronau an der deutsch-niederländischen Grenze, angetreten, das zu konservieren, was noch zu retten ist, auf daß es die Zeiten überdauere. Im Juli vergangenen Jahres hat das Museum, das sich der Popmusik des 20. Jahrhunderts - und hierbei schwerpunktmäßig dem Wirken des Pop in Deutschland - widmet, offiziell seine Türen geöffnet. Also: Ist der Pop in Deutschland nun endgültig so tot, daß er ins Museum gehört?

Ach was, soll wohl die wegwerfende Handbewegung Udo Lindenbergs bedeuten. Lindenberg ist Initiator des Museums, sein spiritus rector, ein Kind Gronaus und im übrigen einer jener deutschen Musiker, die seit einiger Zeit ohne festen Plattenvertrag dastehen. "Dieses Museum soll kreative Energie abstrahlen!" postulierte der Deutschrocker bei der Eröffnung nuschelnd ins Mikrofon, die Augen hinter der unvermeidlichen Sonnenbrille verborgen, das lichter gewordene Haar unter dem unvermeidlichen Hut versteckt.

Lindenberg sieht das Museum, seine Idee, sein Kind, als Gegenimpuls zu dem, was einem heute so alles als Pop zugemutet wird: "Dieses Museum ist ein Zeichen gegen das Gedudel in den Radios, dagegen, allen Schrott aus den USA zu übernehmen. Es soll zu einer Zentrale für die Pflege der deutschen Rock'n'Roll-Kultur werden", nölt Lindenberg. "PR für neue deutsche Produktionen findet heute gar nicht mehr statt", geißelt Udo die Plattenindustrie in Deutschland, die statt künstlerischer Innovation lieber auf das sichere Geschäft mit den Größten der Großen setzt - und der junge Talente und ihr musikalisches Können unherzlich egal sind. "Statt dessen herrscht hier der Kulturimperialismus, wir sollen nur noch ein Entgegennehmer amerikanischer Kultur sein", nörgelnuschelt Lindenberg, der selbst über US-Idole zur Musik kam.

"Wir brauchen eine Deutschpop-Quote"

Die Lösung der deutschen Misere? "Wir brauchen ein eigenes Plattenlabel zur Unterstützung deutscher Rockmusik. Es wäre doch schön, wenn so etwas aus dem Rock'n'Popmuseum heraus entstehen könnte! Und wir brauchen eine Deutschpop-Quote fürs Radio", erklärt der Gründer und Chef des Panikorchesters kurzerhand.

Wenn es nach Udo Lindenberg geht, stehen dem Museum, dem europaweit einzigen seiner Art, noch große Triumphe bevor. Aber schon der Start des Museums, das seine Heimat in einer ehemaligen, 1895 erbauten Turbinenhalle gefunden hat, ist vielversprechend gewesen: Der Museumsmix aus musikalischer Zeitreise und moderner Medientechnologie, Devotionaliensammlung, Bibliothek und Plattenladen hat seit der Museumseröffnung mehr als 20.000 Musikpilger nach Gronau gelockt. Ein ungewöhnlicher Andrang, nur um einem Totgesagten die vorletzte Ehre zu erweisen. Aber Totgesa gte leben bekanntlich länger.


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