© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 11/05 11. März 2005

Kolumne
Notwendige Klarstellungen
von Klaus Motschmann

Zur Eröffnung des Nürnberger Prozesses im Herbst 1945 erklärte der amerikanische Hauptankläger Robert H. Jackson: "Wir möchten klarstellen, daß wir nicht beabsichtigen, das deutsche Volk zu beschuldigen. Wenn die breite Masse des deutschen Volkes das nationalsozialistische Parteiprogramm willig angenommen hätte, wäre die SA nicht nötig gewesen, und man hätte auch keine Konzentrationslager und keine Gestapo gebraucht." Was immer man gegen das Nürnberger Tribunal aus rechtlichen und politischen Gründen sagen kann und im Interesse der geschichtlichen Wahrheit auch sagen muß - eines kann man nicht sagen: daß dieses Gericht im Sinne einer Kollektivschuld des deutschen Volkes verhandelt und geurteilt hat. Nicht einmal die Reichsregierung und die Wehrmacht wurden zu "verbrecherischen Organisationen" erklärt.

Ähnlich hatte sich Stalin bereits während des Krieges geäußert. In seinem Tagesbefehl vom 23. Februar 1942 - dem "Tag der Roten Armee" - hat er klargestellt, daß es nicht das Kriegsziel der Sowjetunion sei, den deutschen Staat zu vernichten: "Das ist natürlich ein dummes Gefasel und eine törichte Verleumdung der Roten Armee. Solche idiotischen Ziele hat die Rote Armee nicht und kann sie nicht haben. (...) Es wäre lächerlich, die Hitler-Clique mit dem deutschen Volk, mit dem deutschen Staat gleichzusetzen. Die Erfahrungen der Geschichte besagen, daß die Hitler kommen und gehen, aber das deutsche Volk, der deutsche Staat bleibt."

Diese Parole wurde nach Kriegsende in vielen Städten und Gemeinden der sowjetischen Besatzungszone plakatiert und damit zur politischen Leitlinie der sowjetischen Besatzungspolitik erklärt. Der These vom "Irrweg der deutschen Nation" mit dem Zielpunkt "Hitler", wie sie vor allem in marxistisch inspirierten Intellektuellen- und Kirchenkreisen vertreten worden ist, wurde durch diese "Klarstellungen" aus Nürnberg und Moskau für die Nachkriegsjahrzehnte der politische und publizistische Boden weitgehend entzogen - allerdings nicht vollständig, wie die öffentlichen Auseinandersetzungen der letzten Jahre in zunehmendem Maße beweisen. In deutlichem Widerspruch zu den Intentionen des Nürnberger Tribunals mehren sich die Schuldsprüche über das deutsche "Täter-Volk" und die Gleichsetzungen des deutschen Volkes mit der "Hitler-Clique". Klarstellungen sind also dringend geboten, damit wir in der Beurteilung unserer Geschichte nicht zu weit hinter die Positionen der Siegermächte (Stalin ausdrücklich eingeschlossen) zurückfallen.


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