© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 12/05 18. März 2005

Gesinnungs-TÜV
Die Freiheit stirbt schrittweise: Zur Verschärfung des Versammlungsrechts
Paul Rosen

Montesquieu pflegte zu sagen, wenn es nicht unbedingt notwendig sei, ein Gesetz zu erlassen, dann sei es unbedingt notwendig, das Gesetz nicht zu erlassen. Die rot-grüne Koalition und auch die Union schlagen die Mahnungen des vor 250 Jahren gestorbenen Rechtsstaatsphilosophen in den Wind. Bei der Neuregelung des Versammlungsrechts stirbt wieder ein Stück Freiheit in Deutschland.

Ein unverdächtiger Zeuge bestätigt dies: Mit dem Gesetz gehen Regierung und Union "einen Schritt weiter in Richtung Gesinnungsstrafrecht und Gesinnungs-TÜV im Versammlungsrecht". Dies erklärte der Innenexperte der FDP-Bundestagsfraktion, Max Stadler, bei der Lesung des Gesetzes im Bundestag.

Beim Versammlungsrecht geht es darum, Demonstrationen der NPD zum Beispiel an KZ-Gedenkstätten zu verbieten, an denen diese Aufzüge die Menschenwürde von NS-Opfern und deren Angehörigen verletzen würden.

Aber man muß die Änderung des Versammlungsrechts in einem größeren Zusammenhang sehen: Derselbe Staat, der das Demonstrationsrecht einschränkt, greift in anderen Bereichen rücksichtslos auf Bankkonten seiner Bürger zu, speichert Telefondaten über lange Zeiträume und will selbst von kleinen Ladendieben Gentests, die dann jahrelang in Verbrecherkarteien gespeichert werden. Mit dem Luftsicherheitsgesetz können unschuldige Passagiere abgeschossen werden. Selbst der Bundespräsident hatte dagegen massive Bedenken. Noch einmal Stadler: "Wir gewöhnen uns daran, in immer mehr Grundrechte einzugreifen, in jedem Einzelfall vielleicht sogar gut begründbar, aber in der Summe zu viel."

Die Gutmenschen der rot-grünen Koalition kommen stets mit den besten Absichten daher. Das eine Mal müssen Steuersünder gepackt werden, beim nächsten Mal ist die Terroristenfahndung der Grund für die staatliche Schnüffelei. Und im Fall des geänderten Versammlungsrechts geht es darum, Aufzüge und Märsche von Rechtsextremisten vor dem Brandenburger Tor, dem Holocaust-Mahnmal in Berlin und dem Heß-Begräbnisort Wunsiedel in Bayern leichter verbieten zu können. Eines dürfte heute schon klar sein: Das Gesetz wird außer im Fall von geplanten Demonstrationen vor dem Holocaust-Mahnmal nichts bewirken. Und gerade zum Schutz des Mahnmals wäre keine Gesetzesänderung notwendig gewesen. Schon nach der bisherigen Rechtslage läge in diesem Fall ein Angriff auf die Menschenwürde der Opfer und ihrer Angehörigen vor. Ein Verbot wäre problemlos möglich.

Das Brandenburger Tor ist unbestritten ein nationales Symbol, aber kein Ort des Gedenkens an die Schrecken der NS-Gewaltherrschaft. Die ursprüngliche Forderung der Unionsfraktion, den "befriedeten Bezirk" rund um den Reichstag auf das Tor auszudehnen, hatte einen gewissen Charme. Besser wäre es gewesen, die Bonner Bannmeilenregelung wieder einzuführen und rund um den Reichstag das Demonstrieren grundsätzlich zu verbieten, damit die Arbeit der Abgeordneten nicht gestört wird.

Schließlich führt der Weg vieler Politiker von ihren Büros regelmäßig durch das Tor. Auch die Probleme mit fliegenden Händlern wären auf einen Schlag gelöst gewesen. Das Argument, die Bannmeile sei dann zu groß, zieht nicht. Die Bonner Abmessungen waren noch größer.

Es war die rot-grüne Koalition und besonders Bundestagspräsident Wolfgang Thierse, der die Bannmeile nicht mehr wollte. Thierse dürfte Demonstrationen mit roten Fahnen im Hinterkopf gehabt haben. Wenn sich die NPD bei Gericht durchsetzen sollte, würde Thierse andere Fahnen am Tor zu sehen bekommen, weil er den alten Grundsatz des gleichen Rechts für alle nicht beachtet hat.

Wunsiedel läßt sich durch die Gesetzesänderung vermutlich nicht vor Aufmärschen schützen. Der Ort ist in keiner Weise mit dem Dritten Reich in Verbindung zu bringen. Die sogenannten Heß-Gedenkmärsche, die jahrelang nicht erlaubt waren, wurden vom Bundesverfassungsgericht zuletzt wieder zugelassen. Daher soll jetzt über den Weg des Strafrechts versucht werden, die Verherrlichung von Personen aus der NS-Zeit zu unterbinden. Doch steht diese Formulierung nicht im Gesetz selbst, sondern nur in der Begründung. Ob die Gerichte diesen schiefen Weg des Gesetzgebers mitmachen, bleibt sehr fraglich.

Die Länder sind jetzt aufgerufen, Gedenkorte per Gesetz zu bestimmen, an denen keine Demonstrationen mehr erlaubt sein sollen. Dies dürfte zu einer Inflation von Orten führen, an denen künftig das Grundrecht der Demonstrationsfreiheit nicht mehr ausgeübt werden darf. Allein Baden-Württemberg hat nach FDP-Angaben bereits siebzehn Orte gemeldet.

Die rechtliche Problematik liegt darin, daß jetzt Landesparlamente befugt werden, im Grundgesetz gewährte Freiheiten einzuschränken. Und was ist, wenn sich Neonazis andere Orte für ihre Demos aussuchen? Dann werden die Listen mit Orten, an denen nicht demonstriert werden darf, verlängert. Und wenn das nicht hilft, werden die Gesetze weiter verschärft, und die Freiheit wird weiter eingegrenzt. "Dem ersten Schritt folgt dann leicht ein zweiter", ahnt Stadler bereits.


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