© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 12/05 18. März 2005

Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit bleiben
Versammlungsrecht: Bundestag beschließt mit breiter Mehrheit entschärfte Gesetzesänderungen / Auch Meinungsfreiheit eingeschränkt
Eike Erdel

Ende vergangener Woche hat der Bundestag mit den Stimmen der rot-grünen Koalition und der Union die Versammlungsfreiheit eingeschränkt. Zukünftig sollen Versammlungen und Aufzüge in Deutschland verboten oder von bestimmten Auflagen abhängig gemacht werden können, wenn diese an Orten stattfinden, die als Gedenkstätte von historisch herausragender, überregionaler Bedeutung an die Opfer der menschenunwürdigen Behandlung unter der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft erinnern, und die Besorgnis besteht, daß durch die Versammlung die Würde der Opfer beeinträchtigt wird.

Das Denkmal für die ermordeten Juden in Berlin wird ausdrücklich als ein solcher Ort erwähnt. Die Bundesländer können weitere nach dieser Vorschrift zu schützende Orte durch Landesgesetz bestimmen. Mehrere Länder haben bereits angekündigt, entsprechende Gesetze auszuarbeiten. Außerdem wurde der Volksverhetzungstatbestand in Paragraph 130 Strafgesetzbuch erweitert. Zukünftig kann mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren bestraft werden, wer öffentlich oder in Versammlungen den öffentlichen Frieden in einer die Würde der Opfer verletzenden Weise dadurch stört, daß er die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft billigt, verherrlicht oder rechtfertigt. Lediglich die FDP stimmte aus verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Einschränkung der Versammlungs- und Meinungsfreiheit. Der Bundesrat muß dem Gesetz noch zustimmen, seine Zustimmung gilt als sicher.

Die Neuregelungen gehen auf eine Gesetzesinitiative von Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) und Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) von Mitte Februar zurück. Deren Vorschlag stieß aber in den Koalitionsfraktionen auf erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken, so daß diese nur vier Tage später einen entschärften eigenen Entwurf in den Bundestag einbrachten. Auch dieser Entwurf wurde bei einer Anhörung im Innenausschuß des Bundestages Anfang März von Rechtswissenschaftlern und Verwaltungsrichtern durchweg kritisiert. Daraufhin wurde der Entwurf noch einmal entschärft, so daß der Bundestag nun die abgemilderte Version der Entschärfung der Vorlage der Bundesregierung beschlossen hat. Ob damit jetzt eine verfassungsmäßige Regelung vorliegt, bleibt jedoch fraglich.

Auf den verfassungsrechtlichen Prüfstand wird das Gesetz schon sehr bald kommen. Das auch als kleines NPD-Verbot bezeichnete Gesetz ist hauptsächlich verabschiedet worden, um die angekündigte Demonstration der NPD-Jugendorganisation Junge Nationaldemokraten zum 60. Jahrestag des Kriegsendes am 8. Mai am Holocaust-Mahnmal in Berlin zu verhindern. Daher ist auch davon auszugehen, daß die Behörden die Verschärfung des Versammlungsrechts anwenden und die geplante Demonstration verbieten werden. Es bleibt abzuwarten, wie die Verwaltungsgerichte die Vereinbarkeit des Verbots mit der grundrechtlich geschützten Versammlungsfreiheit beurteilen. Sollten sie ein Verbot für zulässig erachten, wird noch vor dem 8. Mai das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe in einem Eilverfahren das Gesetz prüfen.

Dabei ist der Versuch, Demonstrationen von Rechten zu verbieten, nichts Neues. Bisher hat man dies mit der angeblichen Störung des öffentlichen Friedens begründet. Die meisten dieser Verbote sind allerdings spätestens vom Bundesverfassungsgericht aufgehoben worden. Legt man die bisherige Recht- sprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Versammlungsfreiheit zugrunde, dann wird man nicht ohne weiteres von der Verfassungswidrigkeit der Neuregelung ausgehen können. So hat das Bundesverfassungsgericht die geplante Demonstration einer rechten Gruppierung am Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz als Störung des öffentlichen Friedens gesehen und damit ein Demonstrationsverbot bestätigt. Grundsätzlich kann die Versammlungsfreiheit ebenso wie die Meinungsfreiheit durch Gesetze beschränkt werden. Der Wortlaut der Neuregelungen ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

Eine andere Frage ist, wie die Behörden und Gerichte die Vorschriften anwenden. Es geht also nicht darum, ob man eine Demonstration der Jungen Nationaldemokraten am Holocaust-Mahnmal grundsätzlich verbieten kann, sondern inwieweit man unterstellen kann, daß durch die Versammlung die Würde der Opfer des Nationalsozialismus beeinträchtigt wird. Die Tatsache, daß man an den 8. Mai 1945 als Tag der Niederlage und nicht als Tag der Befreiung gedenkt, kann ein Versammlungsverbot jedenfalls nicht rechtfertigen. Daher könnte auch das kleine NPD-Verbot beim Bundesverfassungsgericht scheitern.

Dies gilt auch für die Erweiterung des Volksverhetzungstatbestandes. Da die Neuregelung den öffentlichen Frieden schützt, ist nicht jede Rechtfertigung der nationalsozialistischen Herrschaft strafbar. Verfassungskonform ausgelegt dürfte die Vorschrift mit der Meinungsfreiheit vereinbar sein. Nach Auffassung der Bundesjustizministerin soll sich allerdings nach der Neuregelung zukünftig wegen Volksverhetzung strafbar machen, wer Verantwortungsträger der NS-Herrschaft anpreist oder in besonderer Weise hervorhebt. Eine so weite Auslegung des Straftatbestandes ist dagegen nicht mehr mit dem Grundrecht auf Meinungsfreiheit vereinbar.


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