© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 12/05 18. März 2005

BRIEF AUS BRÜSSEL
Tugendterror gegen Kroatien
Andreas Mölzer

Wenn ein Land, das bislang außerhalb der EU-Grenzen liegt, europareif ist und geographisch sowie kulturell zweifelsfrei zu Europa gehört, dann ist das Kroatien. Dennoch stehen die Chancen für Agram schlecht, daß es demnächst mit Brüssel zu Beitrittsverhandlungen kommen könnte.

Die angeblich mangelnde Bereitschaft Kroatiens, mit dem Haager Kriegsverbrecher-Tribunal zusammenzuarbeiten, ist der Vorwand dafür. Tatsächlich ist es in Kroatien innenpolitisch kaum durchsetzbar, den Nationalhelden General Ante Gotovina auszuliefern, der in den Feldzügen der 1990er Jahre gegen Serbien entscheidende Siege errungen hatte. Dabei soll er sich gegenwärtig ohnedies bereits im Ausland, möglicherweise in Frankreich, aufhalten. Dort soll er, ähnlich wie in Kroatien, mächtige Freunde haben, die ihre Hand schützend über ihn halten.

Nun ist es sicher politisch nicht zu verantworten, ein ganzes Land wegen einer Person in Geiselhaft zu nehmen, allzumal die Agramer Regierung um Ministerpräsident Ivo Sanader ohnedies glaubhaft macht, mit dem Haager Tribunal kooperieren zu wollen. Der in solchen Fragen dominanten Linken in der EU reicht dies allerdings nicht. Da ist man eher bereit, außereuropäische Länder wie die Türkei oder veritable Entwicklungsländer wie Rumänien oder Bulgarien in die EU aufzunehmen als den sozial und ökonomisch prosperierenden mitteleuropäischen Staat Kroatien.

Und auch die europäischen Christdemokraten, denen der "Fall Buttiglione" offenbar als warnendes Beispiel dient, gehen vor der Linken vorsorglich in die Knie. Denn der luxemburgische Premier und derzeit amtierende EU-Ratspräsident, Jean-Claude Juncker, hatte erklärt, daß Agram Gotovina binnen zwei Tagen ausliefern müsse, sonst werde die Europäische Union die Aufnahme von Beitrittsgesprächen verschieben. Damit wurde Kroatien ein Ultimatum gestellt, dessen Unerfüllbarkeit schon von vornherein feststand.

Da mögen alte politische Kontinuitäten eine Rolle spielen. Kroatien war eben in zwei Weltkriegen auf seiten der Mittelmächte. Es galt für Paris und London, aber auch für Washington, im Gegensatz zu Serbien immer als Feindstaat. Und es hatte sich nach der Wiedererringung seiner Souveränität zu Beginn der 1990er Jahre unter seinem Präsidenten Franjo Tudjman den einen oder anderen Verstoß gegen den Tugendterror der europäischen political correctness gestattet.

Dabei scheint es die Multikulti-Apostel in den Stabsstellen der Europäischen Union, aber auch der Nato besonders gestört zu haben, daß das multinationale Jugoslawien - bekanntlich ein Produkt des Ersten Weltkriegs - hier von den nationalen Kräften, nicht zuletzt auch aus Kroatien, überwunden und aufgelöst wurde. Das, was man seitens der Westmächte im kleinen in Bosnien mit Gewalt zu realisieren versucht, nämlich eine multikulturelle und multinationale Ordnung, ist vor mehr als einem Jahrzehnt nicht zuletzt durch den Siegeszug des kroatischen Nationalbewußtseins und des kroatischen Willens zur Souveränität überwunden worden.

Die nunmehrige Verweigerung des Beginns der Beitrittsverhandlungen ist wohl die späte Rache dafür. Damit erweist sich einmal mehr, daß innerhalb der Europäischen Union die überaus politisch korrekte Linke mit ihrer jakobinischen Tradition des Tugendterrors in weiten Bereichen das Sagen hat.


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