© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 12/05 18. März 2005

Frisch gepresst

Nietzsche verstehen. Der 1867 im hinterpommerschen Stargard geborene und 1946 in Oxford verstorbene Oscar Levy zählte zu den Nietzscheanern der ersten Generation, aber nicht zu den vielen jüdischen Nietzsche-Jüngern, die den Denker etwa zionistisch vereinnahmten. Levy, der schon zur Jahrhundertwende auf die Insel übersiedelte und dort kurz vor dem Ersten Weltkrieg eine achtzehnbändige Nietzsche-Ausgabe auf den britischen Buchmarkt brachte, stand von Anfang an zwischen allen festgefügten Nietzsche-"Gemeinden". Kein Wunder daher, wenn der gelernte Mediziner, der sich dreißig Jahre lang mit publizistischen Arbeiten und Börsengeschäften über Wasser hielt, heute unter Spezialisten für die Nachwirkung des "Zarathustra"-Sängers kaum noch bekannt ist. Der erste, Levys Nietzscheana - samt des köstlichen Nachrufs auf des Denkers fatale Schwester -enthaltende, äußerlich sehr schöne Band einer auf sechs Bände angelegten, von Steffen Dietzsch und Leila Kais edierten Werkausgabe, ist daher die Einladung zu einer echten Neuentdeckung (Nietzsche verstehen. Essays aus dem Exil 1913-1937. Gesammelte Schriften und Briefe, Band 1, Parerga Verlag, Berlin 2005, 354 Seiten, Abbildungen, 34,20 Euro).

Jacob Burckhardt. Bei den meisten Sammelbänden darf man von der "Ungnade der späten Geburt" sprechen. Liegen doch zwischen dem Anlaß, zu dem ihre Beiträge in Form von Vorträgen geliefert werden, und der Publikation nicht selten Jahre. So standen 1997 Kolloquien zum 100. Todesjahr des Kulturhistorikers Jacob Burckhardt auf dem Veranstaltungskalender in Basel und Princeton. Sieben Jahre danach kann der interessierte Leser jetzt zur Kenntnis nehmen, was damals gesprochen wurde. Ärgerlich dabei ist, daß die Princetoner Referate nicht übersetzt wurden, so daß die Beiträge deutscher Burckhardt-Forscher wie Peter Ganz oder Henning Ritters kurze Betrachtung über den politischen Journalisten Burckhardt nur auf englisch vorliegen, während etwa auf deutsch nachzulesen ist, was der in Princeton lehrende Lionel Gossman über die Burckhardt-Rezeption in der anglo-amerikanischen Geisteswelt herausgefunden hat. Unter den in der Regel akademisch spröden Texten, angeführt von Fritz Sterns etwas altfränkischer Werbung für Europas wahre "Werte", ragt Rolf Hochhuths mit Verve vorgetragenes Plädoyer heraus, den Kunst- und Kulturhistoriker Burckhardt als Philosophen ernst zu nehmen (Andreas Cesana, Lionel Gossmann, Hrsg.: Begegnungen mit Jacob Burckhardt. Verlage B. Schwabe und C. H. Beck, Basel-München 2004, 380 Seiten, 39 Euro).


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