© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 12/05 18. März 2005

Im Krieg um die Welt
Ein abenteuerliches Leben aus Buchhaltersicht: Heike B. Görtemakers Biographie Margret Boveris
Bernd Nietmann

Eine kleine, kantige Person, die keine Konzessionen an weibliche Eitelkeit machte. Sie trug derbes Lodenzeug, Schuhe wie für eine Bergwanderung und einen alten Brotbeutel aus Segeltuch, in dem sie ihre wichtigsten Habseligkeiten, darunter eine der kostbar gewordenen Glühbirnen, verwahrte. Sie wollte autark sein, wo immer sie logierte. Auch unabhängig vom Friseur. Sie trug an jenem Morgen noch Lockenwickler im Haar. Mich sah sie mit ernstem, naturwissenschaftlich sachlichem Blick durch ihre scharfen Brillengläser an, ohne den leisesten Zug der Zu- oder Abneigung. Trotzdem fühlte ich mich unsicher vor der zwanzig Jahre älteren, gestandenen Publizistin. So souverän müßte man sein, so unbekümmert um sein Äußeres und schreiben wie sie, nämlich ohne poetisierenden Firlefanz."

Könnte Tratschke heute noch fragen: Wer ist's? - hätte man leichtes Spiel. Kleine, uneitle Publizistin, die ihren Unabhängigkeitsdrang habitualisiert hat? Gewiß handelte sich nicht um Tratschkes einstige Kollegin Marion Gräfin Dönhoff, die bekanntlich eine heftig poetisierende Leitartiklerin war. Nein, hier ist von ihrer ungleich bedeutenderen Zeitgenossin Margret Boveri die Rede, deren dreißigster Todestag sich im kommenden Juli jährt.

Das Zitat, das Boveris Erscheinungsbild aus den letzten Monaten des Zweiten Weltkriegs hier so einprägsam festhält, stammt aus Helene Rahms' Erinnerungen an ihr Leben als "Journalistin im Dritten Reich" (1997). In den wenigen Sätzen ihres Porträts steckt bereits die ganze Boveri. Wie die soeben von Heike B. Görtemaker vorgelegte Biographie zeigt, läßt sich offenbar auch auf vielen, vielen Seiten kein kräftigerer Eindruck von dieser Jahrhundert-Journalistin vermitteln.

Damit ist zugleich das größte Manko von Görtemakers Berliner Dissertation, einer fraglos fleißigen und aus jahrelangen Archivstudien erwachsenen Arbeit, benannt: das buchhalterisch penible Nacherzählen eines, wie es schon im farblosen Allerweltstitel anklingt, "deutschen Lebens". Bevor das Leben der halben Amerikanerin Boveri nämlich irgendwie banal "deutsch" war, war es primär aufregend, abenteuerlich.

Das gilt schon für den äußeren Lebensweg der 1900 in Würzburg geborenen Tochter aus großbürgerlichem Haus. Nur mit allergrößten Anstrengungen konnte sie in die Männerdomäne Journalismus einbrechen und sich dort behaupten. Mit 35 Jahren, promoviert als Historikerin, blieb ihr das Volontariat nicht erspart. Und dies ausgerechnet beim Berliner Tageblatt, das neben der Frankfurter Zeitung als Zentralorgan der geschmähten "Systempresse" aus Weimarer Zeiten auf der Abschußliste des Reichspropagandaministeriums stand. Obwohl Boveri schnell aufstieg, bald als Auslandskorrespondentin nach Rom gehen durfte und mit ihren Reisebüchern aus der weltpolitischen Gewitterzonen des Mittelmeers und des Nahen Ostens ("Das Weltgeschehen am Mittelmeer", 1936 und "Vom Minarett zum Bohrturm", 1938) beachtliche Auflagenhöhen erreichte, drohte die ganze Herrlichkeit zu zerbrechen, als sich 1937 die von Goebbels betriebene "Abwicklung" des Berliner Tageblatts beschleunigte. Boveri schaffte zwar den Absprung, aber sie rettete sich nur auf die Planken des gleichfalls schwankenden Schiffes Frankfurter Zeitung, für die sie ab 1939 aus Stockholm und ab Herbst 1940 aus New York berichtete.

Als die USA ein Jahr später in den Krieg eintraten, wanderte Boveri ins Internierungslager, kam im Mai 1942 im Zuge einer Austauschaktion nach Lissabon, berichtete aus dem portugiesischen Emigranten-Dorado ein Jahr lang lustlos, bis die Frankfurter verboten wurde, und kehrte dann in die Reichshauptstadt zurück, als in Berlin im Herbst 1943 der Bombenterror der anglo-amerikanischen Luftflotten eskalierte. Als die Rote Armee 1945 näherrückte, lehnte Boveri es ab, die Stadt zu verlassen, und erlebte den gesamten Horror der am 1. Mai einsetzenden "Befreiung" sowie die Gewaltexzesse der sowjetischen "Befreier" mit. Auch während des Kalten Krieges harrte die erklärte Gegnerin der Adenauerschen Westpolitik in der "Frontstadt" aus, wo sie 1975 starb.

Diesen äußeren Ablauf ihres Lebens hat Margret Boveri selbst noch in Gesprächen geschildert, die Uwe Johnson aufgezeichnet und herausgegeben hat ("Verzweigungen", 1977). Die Berliner Schreckenszeit hat sie dokumentiert in "Tage des Überlebens" von 1968, die vor kurzem wiederaufgelegt wurden (JF 46/04). Ein Stück Autobiographie ist überdies eingegangen in ihre Monographie zur Geschichte des Berliner Tageblatts während der NS-Zeit ("Wir lügen alle. Eine Hauptstadtzeitung unter Hitler", 1965).

Angesichts solcher Vorgaben kann man verstehen, wenn ein Biograph glaubt, kaum noch Freiraum für eine eigene Komposition zu haben. Richtig zum Verhängnis wurde Görtemaker aber der Umstand, daß von der sammelwütigen Boveri auch noch ein zentnerschwerer Nachlaß überliefert ist. Anhand mancher dichter Briefwechsel mit engsten Freunden und Freundinnen ist es daher möglich, für bestimmte Lebensabschnitte den Tagesablauf fast von Minute zu Minute zu rekonstruieren. Dieser Versuchung hat ihre Biographin dann auch nicht widerstanden. Folglich arbeitet Görtemaker pünktlich-chronologisch Boveris Vita ab, hangelt sich von Briefzitat zu Briefzitat, was am Ende den Esprit eines vierhundertseitigen Bewerbungsschreibens versprüht.

Nicht viel besser steht es um das Abenteuer des inneren, des intellektuellen Lebens dieser Publizistin, von der irgendwo fast beiläufig heißt, spätestens seit Anfang des Zweiten Weltkrieges müsse man sie wohl mindestens zum geistigen Umfeld der "Konservativen Revolution" zählen.

Daran hält Boveri, nach einem "dritten Weg" für Deutschland zwischen den Blöcken suchend, in den fünfziger Jahren fest, als Armin Mohler einer ihrer favorisierten Briefpartner ist. Was das für das weltanschauliche und politische Profil Boveris zu bedeuten hat, das bleibt aber für die Westzonen- und die altbundesdeutsche Zeit so blaß, wie zuvor nicht recht klar wird, woraus sich eigentlich der selbstgewisse, unerschütterliche Patriotismus speiste, der sie 1943 nach Berlin trieb.

Mit einem konstitutiven Element in Boveris außenpolitischem Weltbild, ihrem knochenharten Anti-Amerikanismus, der sich erst im Alter aufweicht, kann Görtemaker, Gattin des Potsdamer Zeithistorikers Manfred Görtemaker, eines bekennenden "Atlantikers", ohnehin nicht viel anfangen. Über den Inhalt eines USA-Buches ("Im Krieg um die Welt") etwa, dessen Druck ihr Schweizer Verleger 1944 als "zu kritisch" ablehnte und das für immer in der Schublade verschwand, erfährt der Leser denn auch so gut wie nichts. Nur konsequent ist es dann, wenn sich mitunter die unwirsche Formel findet, Margret Boveri habe halt "unzählige Artikel" geschrieben. Allein - man hätte gern gewußt, was drinsteht!

Foto: Margret Boveri 1943 als Korrespondentin in Lissabon: Sie wollte autark sein, wo immer sie logierte

Heike Görtemaker: Ein deutsches Leben. Die Geschichte der Margret Boveri 1900-1975. Verlag C. H. Beck, München 2005, 416 Seiten, Abbildungen, gebunden, 26,90 Euro


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