© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 12/05 18. März 2005

CD: Deutschrock
Vollblutmusiker
Holger Stürenburg

Entwarnung! Obwohl Deutschrock-Urgestein Heinz Rudolf Kunze sein 25jähriges Bühnenjubiläum feiern kann, erspart uns der lakonische Ironiker eine Allerwelts-CD mit Neueinspielungen seiner bislang größten Erfolge. Derlei Sperenzchen hat der politisch unkorrekte Wortakrobat gottlob nicht nötig. Dem Um-ein-Haar-Studienrat für Deutsch und Philosophie sind die innovativen Ideen für Ungehörtes und Unerhörtes noch nicht ausgegangen.

Nach einigen verzwickten musikalischen Experimenten kehrt Kunze ein Vierteljahrhundert nach seinem sogleich überregionales Aufsehen erregenden ersten Auftritt 1980 bei einem Pop-Nachwuchsfestival im Stadttheater Würzburg zum Wesentlichen zurück: klassischer, schnörkelloser, meist überaus ohrwurmträchtiger Rock'n'Roll in bester US-Singer/Songwriter-Tradition, mit kreischender Hammondorgel, lockerem Boogie-Piano, trefflich eingestreuter Bluesharp und treibenden, aber niemals alles übertönenden Rockgitarren. Darüber schweben - wie von Kunze gewohnt - spielerische Wortzaubereien, hintersinnige Metaphern und bissig-sarkastische Stellungnahmen zu Zeit und Geist einer Epoche, mit der Kunze offenbar kaum etwas anzufangen weiß.

Vierzehn neue Songs hat Kunze im vergangenen Herbst im eigenen "Madagaskar"-Tonstudio zu Wedemark/Niedersachsen aufgenommen. Mit von der Partie waren Jörg Sander (Gitarre), Leo Schmidthals (Baßgitarre), Jens Carstens (Schlagzeug) und sein langjähriger Keyboarder Matthias Ulmer - sowie Kunzes langjährige musikalische Inspirationsquelle, der Hannoveraner Gitarrist und Komponist Heiner Lürig. Erstmals waren Kunze und Lürig vor zwanzig Jahren aufeinander getroffen. Musikalisch gebändigt und getrieben von Lürig, avancierte Kunze damals kurzzeitig zum Hitparaden-Stürmer ("Dein ist mein ganzes Herz"), sein Sarkasmus trat zunehmend in den Hintergrund. Nach einigen in den 1990er Jahren erschienenen, von der breiten Masse sträflich vernachlässigten CDs zerbrach schließlich vor drei Jahren eine der bedeutsamsten deutschen Liederschreiber-Gemeinschaften.

Erst der Auftrag der hannoverschen Landesbischöfin Margot Käßmann, Kunze möge eine Erkennungsmelodie für den im Mai dieses Jahres stattfindenden Evangelischen Kirchentag verfassen, ließ zusammenwachsen, was zusammengehört: Kunze und Lürig verschanzten sich wieder im Studio und schufen das hymnische Stück "Mehr als dies". Nebenbei stellten beide Vollblutmusiker fest, daß die Chemie zwischen ihnen immer noch stimmte. So erweist sich "Das Original" (BMG), Kunzes achtzehntes Studioalbum, tatsächlich als ein so originales wie originelles Original der beiden kreativen Geister.

Kunze zeigt grollend rockig sein "wahres Gesicht" ("Ich bin ein guter Mensch / wenn man mich läßt"), beschwört in einem peppigen, radiotauglichen Liebeslied, "Immer für Dich da" zu sein, beschreibt als lebendig Begrabener seine Gefühle "Im Sarg" oder sieht sich als "Der geborene zweite Mann", der wie Doktor Watson, Paulus, Sancho Pansa, Mephisto oder Mohammed stets "die zweite Wahl" bleibt und immer "nur jemand dienen will". Absurd Philosophisches wie das "Lied für einen dünnen Mann" oder "Die Wahrheit vom letzten Hemd" geizt nicht mit Kunze-typischer Verbalanarchie. Er plädiert nach Durchleiden bizarrster Sexeskapaden in gleichnamigem Beat-Rock à la Kinks vor Gericht auf "Notwehr" oder sinniert in balladeskem Kontext verschroben über "Das Blaue vom Himmel".

Das Album ist eine inspirierend-erfrischende Kollektion durchweg bissig-zynischer und doch mehr verletzlicher als verletzender Stellungnahmen eines hochbegabten, Berufsskeptikers und Dauer-Unzufriedenen.


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