© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 13/05 25. März 2005

Zu große Schuhe
Nur wenige Sprößlinge berühmter Eltern haben auch etwas zu sagen
Werner Olles

Wie fühlen, denken und leben Kinder berühmter Eltern? Nehmen sie das große Erbe an und tragen es weiter? Können sie je mündig werden, gelingt ihnen die Emanzipation von den mit einer Aura versehenen Eltern, gehen sie eigene Wege?" Fragen über Fragen, und die Antwort(en) weiß leider nur der Wind. Die "berühmten Eltern" würden sich vermutlich mehrmals im Grab herumdrehen, käme ihnen zu Ohren, was ihre größtenteils mißratenen Sprößlinge in dem Sammelbändchen "Das eigene Leben leben" alles von sich geben. Nun mag es ja Leser geben, die in Demut auch noch den lächerlichsten Heiligenlegenden lauschen und sich allen möglichen Stuß als hohe Weisheit andrehen lassen, aber was zuviel ist, ist zuviel.

Wenn beispielsweise Rudolf Bahros Sohn Andrej es bereits für "Dynamik" hält, wenn im Bundestag Rio Reiser und "irgendwann einmal Techno" gehört wird, dann ist damit praktisch eine Zone erreicht, vor deren Grenze die Waffe der Kritik gestreckt werden muß. Und wenn Peter Marcuse, der Sohn des Theoretikers der eindimensionalen Gesellschaft Herbert Marcuse den durch nichts zu rechtfertigenden Optimismus seines Vaters teilt, "eine Gesellschaft ohne Krieg, ohne Grausamkeit, ohne Brutalität, ohne Unterdrückung, ohne Dummheit, ohne Häßlichkeit" sei möglich, kann man sich der frevlerischen Vermutung, daß unsere 68er-Idole zu ihren Lebzeiten nicht nur freundliche Schwarmgeister, sondern veritable Knallköpfe waren, nur schwer entziehen. Daß Herbert Marcuse "niemals dem Terror das Wort geredet hat", darüber könnte man lange streiten. Aber zumindest war sein Verhältnis zur Gewalt der angeblich "unterdrückten Minderheiten" dergestalt, daß Theodor Adorno in vielen Briefen an Max Horkheimer seine Verzweiflung über Marcuses positive Haltung gegenüber der "gewaltigen Zersetzungskraft" des gewalttätigen studentischen Protestes ausdrückte.

Vollends ins Lächerliche gerät das Interview der Autorinnen mit Uta Ranke-Heinemann, der Tochter des Alt-Bundespräsidenten Gustav Heinemann. Die wüste Predigerin, einst Lehrstuhlinhaberin für katholische Theologie an der Pädagogischen Hochschule im rheinischen Neuss, bis ein mutiger Bischof ihrem wüsten Treiben ein Ende machte, ruft "schon mal die Polizei, wenn Graffities ihre Haustür verunzieren", ist aber ansonsten für jeglichen Blödsinn offen. In der katholischen Kirche sieht sie "eine ethnisch gesäuberte, von Frauen gereinigte Hierarchie unter dem einzigen Mann. Alle Hirten sind Männer und alle Frauen sind Schafe." Im Licht und Glanz stehe nur noch ein einziges Geschlecht: "Das Männliche". Mutter Teresa versteht Ranke-Heinemann als "Jungfrau und Magd, (die) sich nahtlos in das päpstliche Jungfräulichkeitsideal einfügt, die als Dienerin der Kranken und Miserablen die Machtposition der Männer nie anzweifelte". Hier ist die beliebte Talkshow-Christin ganz zweifellos in ihrem ureigensten Element. Aber daß die Interviewerinnen Gabriele Oertel und Karlen Vesper-Gräske, beide Redakteurinnen beim Neuen Deutschland, dieser Fleisch gewordenen Nörgelorgel nicht ein einziges Mal ins Wort fallen, sondern sich weiter jovial an die "große alte Dame" ranschmeißen, spricht für sich. Und so darf sich Uta Ranke-Heinemann auch in Zukunft als Märtyrerin von der am Boden liegenden Kirche zensiert und verfolgt sehen, ganz so, als sei ihr die Heilige Inquisition persönlich ins Mieder und Gemüt gefahren.

Die einzigen Lichtblicke in diesem Buch sind die Gespräche mit Peter Brandt und Johann Scheringer, dem Sohn des Nationalrevolutionärs Richard Scheringer. So geht es Willy Brandts Sohn darum, "das kritische Bewußtsein der Bedeutung des Nationalen - auch im Zeitalter von Europäisierung und Globalisierung - zu fördern", während er die öffentliche Diskussion über den "Vorgang" Martin Hohmann als "bezeichnend für den ziemlich neurotischen Umgang unseres Landes und speziell der heute bestimmenden, westdeutsch sozialisierten Führungsschicht in Politik und Medien mit dem gesamten Komplex Nation, jüngste Vergangenheit und Erinnerungskultur" sieht.

Gabriele Oertel, Karlen Vesper-Gräske: Das eigene Leben leben. Kinder berühmter Eltern von Brandt bis Seghers. Militzke Verlag, Leipzig 2OO4. 233 Seiten, gebunden, 19,90 Euro


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