© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 13/05 25. März 2005

Selbstverständliche Symbiose von Politik und Wissenschaft
Die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus: Eine Abschlußkonferenz der Max-Planck-Gesellschaft im Harnack-Haus
Oliver Busch

Vor sechs Jahren beschloß der Biologe Hubert Markl, damals Präsident der Max-Planck-Gesellschaft (MPG), die Geschichte seines Wissenschaftsimperiums in jenen Zeiten erforschen zu lassen, als es noch "Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft" (KWG) hieß. Die KWG gab es als Großforschungseinrichtung zwar schon seit 1911. Aber die Geschichte, um die es der von Markl eingesetzten Präsidentenkommission unter Leitung der beiden Historiker Wolfgang Schieder (Köln) und Reinhard Rürup (TU Berlin) zu tun war, spielte sich natürlich zwischen 1933 und 1945 ab. Zur abschließenden Bilanzierung der wissenschaftshistorischen Bemühung dieser Kommission hatte die MPG vom 15. bis zum 17. März zu einer Tagung in die schönen Räumlichkeiten des Harnack-Hauses in Berlin-Dahlem geladen.

Wer die seit 2000 erschienenen acht Aufsatzbände zur Geschichte der KWG (Wallstein Verlag, Göttingen) oder die zwei Dutzend Broschüren der Reihe "Ergebnisse" zum Thema kennt, für den bot die Veranstaltung allerdings keinerlei Überraschung. Gut positivistisch haspelten die Referenten daher vor den im Tagungsverlauf sich lichtenden Publikumsreihen noch einmal die Resultate ihrer weitgehend bereits schriftlich fixierten Forschungen herunter. Das Spektrum erstreckte sich dabei auf die ganze Breite der Natur- und Technikwissenschaften sowie der medizinischen Disziplinen.

Nie wieder dürfe Forschung im Dienst der Politik stehen

Die "Kampfstoff-Forschung im Nationalsozialismus" im Rahmen der Rüstungstechnologie gehörte genauso dazu wie die von Susanne Heim wieder einmal strapazierte Verknüpfung von "Agrarforschung und Expansionspolitik" und das aktualisierungsträchtige Thema "Vergleichende Erbpathologie im Kontext biowissenschaftlicher Innovation und Biopolitik", während Hans-Walter Schmuhl dann mit "Erb- und Rassenforschung in Kaiser-Wilhelm-Instituten" das vergangenheitspolitische Terrain betrat, aus dem der süßeste moralische Honig zu saugen war.

Öffentliche Aufmerksamkeit fand die "Präsidentenkommission" ohnehin von Anfang an vor allem dank dieser moralisierenden Aufladung, die nicht so sehr auf Markl zurückgeht, sondern auf das Selbstverständnis der Forschungsgruppe selbst. Die Leitung durch den versierten Geschichtspolitker Rürup, der in Berlin lange der Ausstellung "Topographie des Terrors" vorstand, war hier Programm. Darum waren auch die Fachreferate der Konferenz wieder eingepackt in viel gutmenschliches Gespreize über die Verantwortung der Wissenschaft und die Pflicht zur Selbstbegrenzung, die man als Lehre aus der Mißachtung moralischer Normen zwischen 1933 und 1945 zu ziehen habe. Garniert war das Ganze mit rhetorischen Pflichtübungen und Warnungen davor, sich als Wissenschaftler nie wieder in den Dienst der Politik nehmen zu lassen. Reinsten Gewissens, von derartigem Opportunismus heute meilenweit entfernt zu sein, begann der amtierende MPG-Präsident Peter Gruss dann seine rituelle Eröffnungsrede mit Impressionen von der jüngsten Israel-Reise, auf der er Bundespräsident Köhler begleiten und ihm in der Knesset zuhören durfte.

Forschung finde auch heute nicht im Elfenbeinturm statt

Da bot Markl schon ein anderes Format, in seinem sehr persönlichen Rückblick auf die Selbsterforschung der MPG. Um dieser so launigen wie gedankenreichen Rede willen hat sich der Besuch der Konferenz gelohnt. Der Moralismus der Nachgeborenen, so trumpfte Markl auf, sei ihm zuwider. Auch das hohle Bekennertum von Politikern, die wohlfeile Gedenkreden halten, die Auschwitz beklagen, um von Menschheitsverbrechen unserer Tage zu schwiegen. Daß die KWG politisch-militärisch in Dienst genommen wurde, daß viele Spitzenforscher sich danach drängten und dies als patriotische Tat verstanden, sei für ihn nicht überraschend. In keinem modernen Industriestaat sei das um 1933 anders gewesen.

Auch dürfe man nicht so grenzenlos naiv sein anzunehmen, diese Symbiose von Politik und Wissenschaft sei mit dem Dritten Reich untergegangen. Ein Blick auf die Biowissenschaften oder die Rüstungstechnologie zeige, daß 2005 Spitzenforschung nicht im Elfenbeinturm stattfinde. Ob die KWG-Geschichte im Dritten Reich daher irgendwelche moralische Nutzanwendung für uns bereithalte, sei eher zweifelhaft. Trotzdem resümierte Markl, der schließlich erhebliche finanzielle Mittel für diese Präsidentenkommission bereitstellte, Zukunft habe nur, wer seine Herkunft kenne. Das hat Markl, von dem man als Naturwissenschaftler eigentlich exakt Nachprüfbares erwartet, zwar gerade nicht bewiesen, aber doch schön gesagt.


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