© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 14/05 01. April 2005

Die verweigerte Wiedergutmachung
Enteignungen: Vor dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte / Verantwortung der Regierung Kohl
Klaus Peter Krause

Worüber der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg am Mittwoch entschieden hat (das Urteil lag bei Redaktionsschluß noch nicht vor), ist das, was vor fünfzehn Jahren die Regierung Kohl dem deutschen Rechtsstaat angetan hat: den Opfern politischer Verfolgung in der einstigen Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) von 1945 bis 1949 jene Wiedergutmachung zu versagen, die sie Opfern der späteren DDR wie selbstverständlich zugestand und zugestehen mußte.

Rückgabeverbot der Sowjetunion vorgetäuscht

Dabei war mit der Wiedervereinigung eine Wiedergutmachung auch für diese SBZ-Opfer sehr wohl möglich geworden. Weil die Opfer damals mit falscher Beschuldigung vertrieben, verhaftet, eingesperrt, zu Tode gebracht und sämtlichen Vermögens beraubt wurden, sind sie nach den einschlägigen Rehabilitierungsgesetzen zu rehabilitieren. Zwangsläufig damit verbunden ist die Wiedergutmachung. Zu ihr gehört die Rückgabe des Vermögens, wenn es noch frei verfügbar ist. Frei verfügbar war es, nachdem es in den Besitz des gesamtdeutschen Staates geraten war.

Aber Helmut Kohl und seine politischen Mittäter haben 1990 und auch danach immer wieder ein Rückgabeverbot als Bedingung der Sowjetunion und der DDR vorgetäuscht. Kohl selbst hat es am 30. Januar 1991 vor dem Deutschen Bundestag öffentlich so bekräftigt: "Ich weiß - ich denke, jeder von uns weiß -, daß der endgültige Verlust von Eigentum viele Menschen hart trifft, denn es geht um mehr als um einen bloßen Vermögensgegenstand. Dies gilt vor allem für diejenigen, die zwischen 1945 bis 1949 auf besatzungsrechtlicher und besatzungshoheitlicher Grundlage enteignet wurden. Für die Betroffenen war eine andere Lösung in den schwierigen Verhandlungen des vergangenen Jahres nicht zu erreichen. Der Fortbestand der Maßnahmen zwischen 1945 bis 1949 wurde von der Sowjetunion zu einer Bedingung für die Wiedervereinigung gemacht. Ich sage klar: Die Einheit Deutschlands durfte an dieser Frage nicht scheitern."

Diese Täuschung hat unter deutschen Politikern und in der Öffentlichkeit eine so starke Wirkung entfaltet, daß den Opfern Rehabilitierung und Wiedergutmachung gesetzesverdrehend und rechtsbeugend verweigert wurde und weiterhin wird. Damit ist das kommunistische Raubgut von 1945/49 ein zweites Mal geraubt worden, nunmehr vom deutschen "Rechtsstaat". Dieser verweigerte die Wiedergutmachung auch dann noch, als das Lügengespinst längst zerrissen war.

Warum? Erstens hatten Kohl und seine Mittäter die Rückgabe gar nicht gewollt, denn sie wiegten sich in dem Glauben, mit dem Verkauf des Raubgutes die Kosten der deutschen Einheit finanzieren zu können. Zweitens mochten sie ihre Täuschung nicht eingestehen; zu rechtswidrig ist ihre Tat, zu sichtbar wäre ihr moralischer Verfall, zu eindeutig ihr Ehrverlust, zu tief ihr Fall. Drittens lebten sie eine kleinbürgerliche Aversion, wenn nicht gar Haß, gegen "preußisches Junkertum" aus und warfen dabei gleich sämtliche Opfer in den "Junker-Topf", obwohl nur die wenigsten dem Landadel angehörten.

Hätten die rund 635.000 Familien dieser "Alteigentümer" ihre Betriebe und alle noch verfügbaren sonstigen Vermögen zurückbekommen, wäre manches in den neuen Bundesländern besser gelaufen. Denn viele dieser Familien wollten in ihre Heimat zurückkehren und sich am Wiederaufbau beteiligen. Was hätten diese Rückkehrer aus ihrem "Alteigentum" machen können! Und was hat der Staat mit seiner Treuhandgesellschaft daraus gemacht? Ein Milliarden-Verlustgeschäft. Das Verweigern der Rückgabe und damit das Verhindern der Rückkehr hat einen wesentlichen Teil der Initialzündung zum Wiederaufbau in den neuen Bundesländern leichtfertig verspielt und den "Aufbau-Ost" zusätzlich erschwert.

Auch an dieses verhängnisvolle schwere Vergehen ist zu denken, wenn Kohl am 3. April seinen 75. Geburtstag begeht. Die Täuschung mit ihren rechtsstaatlichen, moralischen und wirtschaftlichen Folgen ist ihm anzulasten, sie muß er auch selbst sich vorwerfen und zur Last machen. Es scheint, daß er es inzwischen tut. Auch er mag registriert haben, daß die Prozeßvertreter dem Gerichtshof die Mär von dem Rückgabeverbot als sowjetischer Bedingung nicht mehr zugemutet haben. Ferner hat die Bundesregierung im Februar erstmals seit fünfzehn Jahren eingeräumt: Es gibt nach deutschem Recht kein unbeschränktes Verbot, Vermögenswerte zurückzugeben, die in der einstigen Sowjetischen Besatzungszone entzogen worden sind.

Besonders massive Eingriffe in die Freiheitsrechte

Wenn nämlich den Eigentümern dieses Vermögen im Zusammenhang mit besonders massiven Eingriffen in Freiheitsrechte entzogen worden sei, hätten sie Rechtsansprüche auf Rehabilitierung und auf Rückgabe des Eigentums. Ebendies trifft auch auf die Opfer im nunmehr entschiedenen Verfahren zu. Ihm liegen 28 Beschwerdeschriften gegen Vermögensentziehungen zugrunde. Um den Ablauf überschaubar zu halten, wurden drei davon gleichsam als Muster auch für die übrigen herausgelöst - sozusagen als Pilotverfahren.

Wie das Urteil auch ausfällt: Bindungswirkung hat es im Grundsatz nur für die am Verfahren Beteiligten. Unterliegt ein Staat, ist ihm aufgegeben, sich mit seinem Prozeßgegner über die von diesem angestrebte Änderung zu verständigen. Scheitert eine solche Güteverhandlung, geben die Richter dem unterlegenen Staat in einer zweiten Entscheidung selbst auf, was er konkret zu tun oder zu unterlassen hat.


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