© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 14/05 01. April 2005

Gutwillig, aber keineswegs weitblickend
Rolf Stolz fordert gegen den islamischen Fundamentalismus eine "Regenbogenkoalition aller Demokraten"
Werner Becker

In einer Zeit, in der sich selbst die Medien gerne mit dem Phänomen der Parallelgesellschaften und der "Ehrenmorde" auseinandersetzen, bleibt "der Islam" aktuell - unabhängig davon, was diese Erscheinungen tatsächlich mit dieser Religion zu tun haben. So nimmt auch der Publizist und Grünen-Mitbegründer Rolf Stolz in seinem Buch "Die Mullahs am Rhein" den Islam bereits zum wiederholten Male ins Visier.

Der Autor beginnt seinen Streifzug mit einem Erklärungsversuch, was denn unter dem Begriff "islamischer Fundamentalismus" zu verstehen sei. Schnell wird hierbei klar, daß Stolz ihn weniger als eine religiöse Spielart des Islam, sondern mehr als soziale und politische Bewegung begreift. Der Fundamentalismus sei ein "Aufstand der Barbarei und der mittelalterlichen Inbrunst gegen die Zivilisation und gegen die Aufklärung, ein Generalangriff der aggressiven Irrationalität auf die kritische Vernunft", so der Autor. Im Gegensatz hierzu sieht Stolz die fortschreitende Aufklärung, die friedliche Selbstbestimmung der Völker und eine auf "solidarische Emanzipation der Individuen gerichtete Selbstverständigung der Menschheit". Kritisiert wird also vor allem, daß sich Islamisten gegen die Prinzipien des Liberalismus richten.

Im Gegensatz zu Hans-Peter Raddatz und Udo Ulfkotte kritisiert Stolz den Islamismus aus linker, emanzipatorischer Perspektive - man kann ihm hierbei allerdings keine Nebelwerferei vorhalten, er kämpft mit offenem Visier. Seine Perspektive sei die "einer freiheitlichen Linken jenseits von Stalin und Noske", so Stolz. Folglich läßt sich seine Kritik am islamischen Fundamentalismus schnell auch gegen andere religiöse Überzeugungen in Stellung bringen: Religion, das "Opium für das Volk" - immer wieder klingt dies bei Stolz durch.

Und wenn er etwa beginnt, über die Reformfähigkeit von Religionen zu dozieren, wird klar, daß er sie eben nicht als Religionen begreift, sondern lediglich als beliebig wandel- und änderbare Weltanschauungen und Ideologien. Folglich sind für Stolz auch Gesetze, die Blasphemie unter Strafe stellen, wie es in Großbritannien der Fall ist, "reaktionäre juristische Überreste des christlichen Mittelalters".

Dies tritt besonders an dem Punkt hervor, wo der Autor die westliche Dekadenz als eine Kraftquelle der islamischen Renaissance untersucht. Zwar sieht er den moralischen Zusammenbruch des Westens, die Abwesenheit religiöser Korrektive und den dadurch mitbedingten katastrophalen demographischen Wandel. Er will aber nicht zulassen, daß der Auflösung der Keimzellen einer jeden Gesellschaft, der Familien, die selbst in den Einwanderergesellschaften Europas bestehenden intakten Familienverbände als Beispiel entgegengesetzt werden. Darin vermag er nur einen "ahistorischen und völlig illusorischen Versuch einer Rückkehr in vorfeudale Sippenstrukturen" zu sehen. Statt dessen glaubt Stolz, "ein modernes Konzept kinderfreundlicher und zukunftsbejahender Lebensverbindungen" würde den Verfall der Familien aufhalten. Man verändert also einfach die Außenbedingungen, dann verändert man automatisch auch den Menschen - da ist wieder die etwas angestaubte Perspektive eines Linken.

Folglich empfiehlt Stolz, der den islamischen Fundamentalismus immer wieder mit dem Nationalsozialismus vergleicht, und Fundamentalismus als "religiösen Faschismus" bezeichnet, eine "große Regenbogenkoalition aller Demokraten und Menschenfreunde", um der islamischen Herausforderung zu begegnen. Zivilgesellschaftliche Konzepte sollten es mit Haßpredigern aufnehmen können, denkt Stolz.

Kampfeslustig wird der Autor aber, wenn es um die Auseinandersetzung mit den "Gefühlslinken" geht, jenen politischen Kräften, "die in den Mullahs erstens arme verfolgte Ausländer oder Drittweltler sehen und zweitens Antiimperialisten und Mitrevolutionäre, die ein wenig seltsam kostümiert sind und bedauerlicherweise einen religiösen Spleen haben", so Stolz.

Wie weit sich der Autor allerdings selbst von der Realität entfernt hat, wird an den Stellen deutlich, wo er "Aufforderungen an den Islam" verfaßt. An solchen Stellen zitiert er stets den Kronzeugen eines liberalen Euro-Islam, den Göttinger Professor für internationale Beziehungen Bassam Tibi. Eine Religion nach liberalen und aufklärerischen Gesichtpunkten einfach einmal so "umzubauen", scheint nirgendwo noch unwahrscheinlicher und unmöglicher zu sein als bei der Buchreligion des Islam. Er wünscht sich einen "Islam, der in Mekka ein Museum und Mahnmal für die Verfolgung der Sklaven, der afrikanischen Polytheisten, der Manichäer, Yeziden und Bahá'i, christlicher und jüdischer Minderheiten, der Armenier wie der Assyrer, errichtet". Stolz' Ansatz ist allenfalls Gutwilligkeit zu bescheinigen, aber keineswegs Weitblick. In diesem Punkt verwandelt sich der Autor dann selbst zum "Gefühlslinken" mit utopischen Wunschträumen.

Vielleicht ist es der entscheidende Punkt, woran Stolz' größtenteils schlüssige Analysen und Betrachtungen kranken - daß diese Utopie selbst einer quasi-religiösen Welt entspringt, aber keinesfalls einem Realismus. So fehlen dem Autor auch die Antworten auf entscheidende Fragen der Zukunft, für die der Islam in seinen Facetten und Varianten scheinbar Antworten parat hält. Wie begegnen wir den Auflösungserscheinungen der Familien, wie der horrenden Zahl an Kindestötungen im Mutterleib? Wie ist die Entwicklung zu einer Euthanasie-ähnlichen Altenentsorgung aufzuhalten? Wie hält man das Abdriften großer Teile der Gesellschaft in Abhängigkeiten und Suchten auf?

Von einer linksliberalen Zivilreligion, die sich nur hier und dort auf eine eigene Identität mit eigenen Werten beruft, sind die Antworten jedenfalls kaum zu erwarten.

Foto: Tag der Offenen Moschee, Köln 2002: Zivilgesellschaftliche Konzepte gegen Hassprediger

Rolf Stolz: Die Mullahs vom Rhein. Herbig Verlag, München 2005, 336 Seiten, gebunden, 19,90 Euro


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