© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 15/05 08. April 2005

Aller Vorbild
Sinnfälligkeit: Die hämischen Stimmen verstummten
Karlheinz Weißmann

Die Monarchie hat gegenüber allen anderen Verfassungen den Vorzug der Sinnfälligkeit. Das gilt auch für die Monarchie des Papstes und insbesondere für das Pontifikat Johannes Pauls II. Wahrscheinlich war es die Sinnfälligkeit, die so wesentlich zur Beliebtheit des Verstorbenen beigetragen hat, die auch etwas von der "Modernität" seiner Wirkung erklärt. Eine Modernität, die allerdings in Spannung zu Beharrungswillen in theologischen und ethischen Fragen stand.

Die Positionen, die Johannes Paul II. in bezug auf Christologie, Marienverehrung, Zölibat, Homosexualität oder Abtreibung vertrat, haben ihm den Widerwillen oder den Hohn des überwiegenden Teils der Intelligenz eingetragen. Das verächtliche Reden über ihn gehörte lange zum guten Ton, und selbst beim Attentat Ali Agcas signalisierte mancher klammheimliche Freude. Die aufgeklärte, säkularisierte, westliche Welt ahnte in ihm einen Gegner, einen, der hinter der Maske der Aufgeräumtheit und der guten Laune die Symptome der Dekadenz erkannte, einen, der sich von gespielter Vitalität nicht überzeugen ließ, sondern die "Zivilisation des Todes" sah, die rücksichtslos aus dem Weg räumt, was ihr Unterhaltungsbedürfnis behindert.

Fast alle hämischen Stimmen sind aber zuletzt verstummt angesichts des langen Leidens, das Johannes Paul II. geduldig ertrug. Auch das hat sich besonders eingeprägt durch die Bilder von dem Mann, der unter größter Anstrengung die Menge auf dem Petersplatz segnet und der sich im Wind zusammengesunken an den Bischofsstab mit der Darstellung des Gekreuzigten klammert. Es ist in dem Zusammenhang auf das mystische Element in der Frömmigkeit des Papstes hingewiesen worden, der der Gedanke der Gleichgestaltung mit Christus auch in Leiden und Tod besonders nahegelegen haben muß.

Alles spricht dafür, daß Charisma, Unbeirrbarkeit und Tapferkeit die Erinnerung an Johannes Paul II. bestimmen werden und ihn damit zu einer der vorbildlichen Gestalten des Christentums machen. Das sollte auch der evangelische Christ anerkennen, der die Amtszeit des Papstes insofern von außen betrachtet. Johannes Paul II. galt nicht als Freund der Ökumene, und der Vorsitzende des Rates der EKD, Wolfgang Huber, hat gleich nach seinem Tod die Erwartung geäußert, daß der Nachfolger auf dem Stuhl Petri in dieser Hinsicht zugänglicher sein sollte. Man weiß nicht, ob man sich das wünschen soll. Bei seinem ersten Besuch in Deutschland hat Johannes Paul II. die evangelischen Bischöfe und Kirchenpräsidenten als "liebe Brüder" angesprochen, er hat als erster Papst eine evangelische Kirche betreten und auf bestimmte traditionelle Formen der Verdammung ausdrücklich verzichtet. Gleichzeitig blieben die Trennungslinien scharf gezogen, und das mit Recht. Denn das, was von evangelischer Seite als "ökumenisch" apostrophiert wird, ist im Kern nichts anderes als eine Schwundstufe des Christlichen, ein Ausdruck des Traditionsverlustes und der Unsicherheit, die sich in ein größeres Ganzes retten möchte, das noch weniger bestimmt sein möge als das eigene theologische Potpourri.

Der Papst hat in der Art, in der das Zusammenwirken angeboten wurde, die Schwäche der anderen Seite erkannt. Das hieß umgekehrt, daß er sich seiner überlegenen Position gewiß war. Eine Überlegenheit, die ihm auch im Gespräch mit den Vertretern anderer Religionen zustatten kam. Was beim Friedensgebet von Assisi mit den Repräsentanten aller großen Glaubensbewegungen vollzogen wurde, stand zwar unter dem Verdacht des Synkretismus, enthielt aber keinen vordergründigen Enthusiasmus für das Andere und sicher kein Zeichen für die Bereitschaft zur Selbstaufgabe des Christentums. Es war eher eine besondere Auffassung des "Katholischen", des "Allgemeinen", die wiederum im "Römischen" wurzelt.

Das beobachtet der Protestantismus naturgemäß mit besonderer Skepsis. Aber diese Skepsis hat auch zu seiner Formschwäche beigetragen und dazu, daß die Masse der Evangelischen in Europa keine klare Vorstellung von ihrem Bekenntnis mehr hat und ihren Kirchen jede Ausstrahlung fehlt. Es fehlt vor allem an dem, was oben als Sinnfälligkeit bezeichnet wurde. Das hat die Evangelischen in der Vergangenheit wohl bewahrt vor den großen Fehlleistungen Einzelner, aber in der Krise der Gegenwart trägt es dazu bei, daß sie ohne erkennbare Führung dastehen.

Was auch immer das Schicksal des evangelischen Christentums im 21. Jahrhundert sein wird, es gibt keine Garantie für seinen Bestand. Dasselbe muß man sub specie aeternitatis für die katholische Kirche sagen, aber die Wahrscheinlichkeit erscheint doch größer, daß sie weiter existieren wird, und wer wollte bestreiten, daß Johannes Paul II. dazu wesentlich beigetragen hat.

 

Dr. Karlheinz Weißmann, Jahrgang 1959, ist Historiker, Lehrer und Publizist.


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