© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 16/05 15. April 2005

Der Abgang des Populisten
Aufstieg und Fall Jörg Haiders und der österreichischen Freiheitlichen
Curd-Torsten Weick

Jahrelang blickten die einen mit Verachtung und die anderen voller Hoffnung auf Österreich. Im Fokus: der Aufstieg des Jörg Haider und seiner nationalliberalen FPÖ. Doch während die größere Gruppe den unumschränkten Chef der Freiheitlichen als rechtspopulistischen Hasadeur brandmarkte, schaute die kleinere in Richtung Süden und sagte sich: Es geht also doch, Parteienkartelle aufzubrechen!

Mit Haider an der Spitze fuhren die Freiheitlichen Wahlsieg um Wahlsieg ein und erreichten schlußendlich bei der Nationalratswahl 1999 stattliche 26,9 Prozent. Dies war zugleich Höhe- wie Scheitelpunkt. Denn mit Übernahme der Regierungsverantwortung begann die Malaise der FPÖ. Die Minister mühten sich redlich und fanden Gefallen an der zum Teil recht erfolgreichen Regierungsarbeit - verloren aber parallel dazu ihre einst bürgernahe Bodenhaftung und damit immer mehr Wählerstimmen.

Im Hintergrund versuchte derweil Jörg Haider aus dem fernen Kärnten, die Wiener Fäden in der Hand zu behalten. Er kritisierte, polemisierte und hatte wenig Glück mit seiner Personalpolitik. Vor allem aber mochte er sich nie so recht entscheiden, ob er die Regierung stützen oder gegen sie - und damit gegen die eigenen Leute - opponieren sollte. Kein Wunder also, daß sich die innerparteilichen Stimmen mehrten, die Haiders Selbstherrlichkeit und dessen Zickzack-Kurs nicht mehr mitmachen wollten. Eine Wahlniederlage folgte der nächsten, und so kam es jetzt zum offenen Bruch.

Aus Haider, dem demokratischen Reformer und Volkstribun gegen ein rot-schwarzes Kartell des Parteienproporzes, dem Synonym des "Populisten", wurde im Laufe der Jahre das "System Haider", das neuen Filz und undurchsichtige Machenschaften im Stile der zuvor angeprangerten großen Parteien schuf.

Eine Gruppe um den EU-Abgeordneten Andreas Mölzer rebellierte zuletzt, forderte eine Rückbesinnung auf freiheitliche Werte und hob den 35jährigen Wiener FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache als adäquaten Gegenspieler zu Haider aufs Schild des möglichen Parteivorsitzes.

Der bis dato unumschränkt über die FPÖ waltende Haider sah in Anbetracht der bevorstehenden Kampfabstimmung seine Felle davonschwimmen. Ähnlich einem in die Jahre gekommenen Potentaten, der auf seinem langen einsamen Weg viele politische Leichen hinterlassen und auch die Nachfolgeproblematik strikt vernachlässigt hatte, ergriff Haider die Flucht nach vorn und gründete das Bündnis Zukunft Österreich (BZÖ).

Wiens FPÖ-Chef Strache sprach von "Hochverrat" und präsentierte die noch nicht ganz trockene Unterschrift Haiders unter ein Kooperationsabkommen. Letzterer wollte davon nichts mehr wissen und erklärte zur Überraschung vieler seine Loyalität zur Regierung. Derweil lächelte die in Amt und Würden verbleibende FPÖ-Regierungsriege nun nicht mehr vor blauen, sondern vor orangenen Lettern in die Kameras, und die Neue Zürcher Zeitung bilanzierte: "Haiders neuestes Polit-Happening gleicht einem 'Selbstputsch' nach lateinamerikanischem Muster, auch wenn es in Wien stattfindet, in Mitteleuropa. Der irrlichternde Führer jagt lästig gewordene Getreue zum Teufel, um endlich wieder allein schalten und walten zu können."

Frei nach dem Titel seines 1993 erschienenen Buches "Freiheit, die ich meine" hat der Kärntner Landeshauptmann sich die Freiheit genommen und eine neue, die Macht erhaltende "Bewegung" aus der Taufe gehoben, um die plötzlich von ihm gelobte Regierungsarbeit zu sichern. Das Ganze ist ein einziges Stück aus dem Tollhaus.

Doch wer meint, die Fronten wären nun geklärt, irrt. Das Gegenteil ist der Fall. Selbst die Österreicher haben Probleme, all den Winkelzügen der einzelnen Parteiorganisationen zu folgen. Der Streit zwischen FPÖ und BZÖ in Kärnten ist da nur ein Fall von vielen. Hier gibt es neben dem BZÖ noch die Haider-treuen "Freiheitlichen in Kärnten" sowie die vom designierten neuen Parteivorsitzenden der FPÖ-"Alt" Strache so genannten "echten Freiheitlichen", die sich im Stammland Haiders neu zu organisieren suchen. Da geht es nicht allein um Mitglieder, sondern um Parteilokale, Vermögenswerte, sämtliche Unterlagen und natürlich auch um die zwischen - genaueres weiß man nicht - drei und sieben Millionen Euro liegenden Schulden der FPÖ. Ein Rosenkrieg vom feinsten.

Die Konfrontationslinien stehen, und langwierige Rechtstreitereien drohen. Die einen sprechen von "Verrat und Flucht aus der Verantwortung, der nur dem Machterhalt dient", andere bekritteln das "destruktive" Verhalten der vormaligen Parteifreunde.

Parallel dazu geht der Spaltpilz bis in die kleinsten Ortsgruppen um und verunsichert die einfachen Parteimitglieder. Wer sich noch nicht entschieden hat, ob er sich nun zum BZÖ oder zur FPÖ-Neu bekennen soll, der wartet ab und wägt die Chancen. Und alle stellen sich die Frage: Wer setzt sich durch? Einig sind sich die österreichischen Meinungsforscher darin, daß es im Land keinen Platz für zwei freiheitliche Parteien gibt. Es werde sich wohl nur eine Formation durchsetzen können - entweder Haiders orangene Truppe oder die blaue FPÖ.

Mit der Implosion der FPÖ zerplatzen auch alle Träume von einer europaweiten Liste nationalpopulistischer Parteien für die nächste Wahl zum Europäischen Parlament. Immer wieder war in den vergangenen Jahren diskutiert worden, ob es zu einem gemeinsamen Antritt regionalistischer, nationalliberaler, rechtspopulistischer Parteien unter Führung von Haiders FPÖ käme. Daraus wird nun nichts.

Anhänger einer nationalliberalen Option sehen erneut die Chance vertan, eine seriöse Alternative im - nicht nur österreichischen - Parteiensystem zu etablieren und sich durch Stabilität auszuzeichnen. Wieder einmal ist eine rechtspopulistische Partei an ihrer Fixierung auf eine Führungsfigur gescheitert. Der "Fall FPÖ" führt auch beispielhaft vor Augen, daß neue Parteien, die als demokratisch-reformerische Kraft gegen Korruption und Filz antreten, nicht per se davor gefeit sind, selbst davon erfaßt zu werden.

Noch wollen die Freiheitlichen aber nicht alle Hoffnung fahren lassen. In Österreich gibt es nur eine Vier-Prozent-Hürde, um in den Nationalrat gewählt zu werden, und so hätten sowohl das staatstragende Bündnis Zukunft Österreichs als auch die sich als "Alt"-Freiheitliche fühlenden FPÖler die Chance, diese Hürde zu überspringen. Es gibt nur eine Unbekannte - Jörg Haider.

In Österreich wird erwartet, daß der Kärntner Landeshauptmann sich auch weiterhin sehr sprunghaft zeigen und die labile schwarz-orange Regierung zu Fall bringen wird. Das wäre dann der nächste Akt in diesem unrühmlichen Trauerspiel.


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