© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 16/05 15. April 2005

Gipfel des Unsinns
Automobilbau: Daimler-Chrysler-Chef Schrempp und Porsche-Chef Wiedeking verkörpern unterschiedliche Unternehmenskulturen
Kurt Zach

Jürgen Schrempp, der Gerhard Schröder der deutschen Automobilbranche, hat es wieder geschafft. Die Daimler-Chrysler-Aktionäre machten es auch dieses Jahr wie leidgeprüfte Rot-Grün-Wähler: Schimpfen, Meckern, Kritisieren, und am Ende bleibt alles beim alten. "Mißmanagement", "Bankrotterklärung", "Schönrednerei" waren nur einige der Vorwürfe, die Aktionärsvertreter dem Konzernchef auf der diesjährigen Hauptversammlung um die Ohren schlugen. Dann wurde der Vorstand wieder mit großer Mehrheit entlastet, nur einige deutsche Fondsmanager standen grollend beiseite.

Schrempp kann also weitermachen: Gewinneinbußen sogar beim Zugpferd Mercedes, Milliardengrab Smart bleibt, sinkende Aktienkurse, Qualitätsmängel und ein unrühmlicher vorletzter Platz für Mercedes in der Pannenstatistik. Schuld sind andere: beim Klagelied über hohe Lohnkosten und schlechte Standortbedingungen in Deutschland singt Schrempp gern die erste Stimme.

Rendite steigern heißt bei Daimler-Chrysler: an den Arbeitnehmern sparen. Noch in aller Munde ist das Wort von der "baden-württem­bergischen Krankheit", mit dem Schrempps früherer Mercedes-Chef Jürgen Hubbert einst in schöner Eintracht mit der IG Metall ausgehandelte hohe Löhne und Sondervergünstigungen geißelte.

Wie der Polit-Schrempp im Kanzleramt weiß auch der Daimler-Chrysler-Chef, daß man mit Schuldzuweisungen an andere und Pseudo-Reformen zu Lasten derer, die für die Misere nichts können, den Laden zwar nicht sanieren, aber höchst effektvoll vom eigenen Versagen ablenken und sich so mehr Zeit erkaufen kann.

Die Analyse ist dabei simpel: Das schwäbische Traditionsunternehmen hat sich im globalisierten Größenwahn schlicht übernommen. Statt das mit Mercedes verdiente Geld in die Entwicklung des Kerngeschäfts zu stecken, wurden Milliarden in der "Welt AG" versenkt. Das Finanzpolster wurde für die kostspieligen Engagements bei Chrysler, Mitsubishi und Smart verplempert und fehlt jetzt für die "Qualitätsoffensive".

Wie eine vorweggenommene Abrechnung mit der traurigen "Weiter so"-Bilanz des Branchenkollegen liest sich die Rede, die Porsche-Chef Wendelin Wiedeking einen Tag vor der Daimler-Chrysler-Hauptversammlung im Stuttgarter Landtag hielt. Von einer "baden-württembergischen Krankheit", sagte der Branchenprimus mit deutlicher Anspielung auf die Marke mit dem Stern, sei bei Porsche "herzlich wenig" zu spüren. Die Lohnkosten seien "wirklich nicht das Problem": Wie sonst könnte Porsche vom Hochlohnbundesland im Hochlohnstandort Deutschland aus weltweit erfolgreich operieren?

Scharf wendet sich Wiedeking gegen den "Holzweg", auf dem sich all jene befinden, die behaupten, der Standort Deutschland könne seine Spitzenposition im globalen Wettbewerb nur durch Lohn- und Sozialdumping absichern: "Wir verarmen, wenn wir asiatisch werden wollen." Chinesische Lohnkosten wären volkswirtschaftlicher Unsinn, sagt Wiedeking. Zu Recht: Wer zu China-Tarifen arbeitet, kauft schließlich am Ende weder einen Porsche noch einen Mercedes - und nicht mal einen Smart.

Daß Porsche am vielgeschmähten Standort Deutschland offensichtlich besser vorankommt als andere, heißt freilich nicht, daß Wiedeking nichts zu kritisieren hätte. Der Fehler liege allerdings nicht in den hohen Lohnkosten, sondern "im System". Und da hat Wiedeking zwei Lieblingsfeinde: Bürokratie, Blockadeföderalismus und Steuerabsurditäten in Deutschland und ungerechte Brüsseler Wettbewerbsregeln für Europa.

Der "Gipfel des Unsinns" ist für Wiedeking, "wenn man in Zeiten, in denen mehr als fünf Millionen Menschen als Arbeitslose in Deutschland registriert sind, den Job-Export auch noch aus dem deutschen Steuertopf subventioniert". Nichts anderes sei es, wenn sämtliche Kosten von der Planung bis zur Finanzierung und Verwaltung ausländischer Tochterunternehmen in Deutschland voll steuerlich geltend gemacht werden könnten.

Und der zweite Unsinn: "Wieso zahlt die EU Zuschüsse für Firmenansiedlungen in den Beitrittsländern - übrigens auch mit den deutschen Beiträgen in die EU-Kasse -, die den osteuropäischen Regierungen dann dazu dienen, Firmen aus Westeuropa mit besonders niedrigen Steuersätzen anzulocken?" Statt dessen, meint Wiedeking, solle man "die Milliarden, die dort ausgegeben werden, lieber nehmen, um unsere eigenen Unternehmen wettbewerbsfähiger zu machen, etwa durch Steuersenkungen hierzulande".

Scharf kritisiert der Porsche-Chef den Entwurf der EU-Dienstleistungsrichtlinie: Freier Wettbewerb sei grundsätzlich sinnvoll, funktioniere aber nur bei Chancengleichheit und vergleichbaren Ausgangsvoraussetzungen. Und die sind spätestens seit der EU-Osterweiterung nicht mehr gegeben.

Statt wie die EU-Kommission den freien Wettbewerb über Nacht mit der Brechstange erzwingen zu wollen, ist Wiedeking auch zu unorthodoxen Methoden bereit, um Waffengleichheit wiederherzustellen: "Wir sollten nicht einmal davor zurückschrecken, auch Einfuhrzölle zu erheben, um uns zu schützen - zumindest vorübergehend." Denn, mahnt Wiedeking: Unternehmer wie Politiker müßten die Sorgen der Arbeitnehmer ernster nehmen als bisher. Sie könnten nicht wie so mancher Manager "einfach mit ihren Familien in ein fremdes Land mit einer anderen Sprache umziehen, um dort einen neuen Job zu finden".

Wendelin Wiedeking ist der seltene Fall eines patriotischen deutschen Industrielenkers - dazu hat er sich erst im Dezember ausdrücklich bekannt. Der permanente Verlust von Industriearbeitsplätzen sei eine "Katastrophe für Deutschland", die man nicht als "gottgegeben" hinnehmen dürfe. Unternehmen und Manager hätten eine Verpflichtung, sich für ihr Land einzusetzen.


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