© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 16/05 15. April 2005

LOCKERUNGSÜBUNGEN
Visionär
Karl Heinzen

Aktionäre haben Porsche-Chef Wendelin Wiedeking, dies weist eine Emnid-Umfrage aus, unter allen deutschen Unternehmensführern am liebsten. Wer unter jenen, auf die es in unserem Lande ankommt, derartige Sympathiewerte genießt, darf sich offenbar auch schon einmal Äußerungen erlauben, die anderen durchaus als Klassenverrat ausgelegt würden. So hat sich Wiedeking auf einer Veranstaltung im Stuttgarter Landtag den Spaß erlaubt, dem bundesrepublikanischen common sense zu widersprechen, daß es mit unserer Wirtschaft nur dann wieder bergauf gehen könne, wenn die Beschäftigten mehr arbeiten und weniger verdienen. Eine Orientierung an asiatischen Vorbildern würde jedoch, so seine kühne These, vielmehr zur Verarmung führen. Chinesische Lohnkosten seien "volkswirtschaftlicher Unsinn", da Arbeitnehmer dann gar nicht mehr über das nötige Geld verfügen würden, um sich als Konsumenten wachstumsfördernd zu engagieren. Als eine der tatsächlichen Quellen des Übels betrachtet er hingegen die Regelung, daß deutsche Unternehmen die Kosten für Standortverlagerungen ins Ausland steuerlich geltend machen könnten, der Job-Export somit vom Steuerzahler auch noch subventioniert würde.

Man mag diesen Versuch, Oskar Lafontaine links zu überholen, als Spleen eines Mannes abtun, der eben der Extravaganz der durch ihn repräsentierten Marke auf seine Weise gerecht werden möchte. In Wahrheit bleibt Wiedeking jedoch auch hier dem Wohlergehen seines Unternehmens auf subtile Weise verpflichtet. Natürlich schadet es Porsche zunächst nichts, wenn die Schere zwischen Arm und Reich weiter auseinander geht. Die Habenichtse können sich Karossen dieser Preisklasse per se nicht leisten. Auf lange Sicht muß aber ein Massenelend vermieden werden, das Neid oder gar Klassenkämpfe beflügelt. Ansonsten könnte sich die Klientel des Unternehmens genötigt sehen, ihren Reichtum zunehmend zu verstecken, und die Anschaffung unübersehbarer und latent provozierender Statussymbole einschränken.

Wiedeking ist also nicht über Nacht altruistisch geworden, er ist lediglich in der Lage, soziale Verwerfungen von morgen und ihre möglichen Konsequenzen schärfer als die meisten seiner Standesgenossen zu erkennen. Was er vertritt, ist ein Grundsatz der guten, alten Sozialen Marktwirtschaft: Der Wohlstand der Wohlhabenden kann nur dann wachsen, wenn man auf die Grundbedürfnisse und die Befindlichkeiten der Massen Rücksicht nimmt, die von ihm ausgeschlossen sind und bleiben.


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