© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 17/05 22. April 2005

"Die Freiheit kam erst später"
Gedenkpolitik: Generalmajor a.D. Gerd Schultze-Rhonhof über den Aufruf zum 8. Mai und falsche Geschichtsbilder
Marcus Schmidt

Herr Schultze-Rhonhof, was hat Sie dazu bewogen, sich zum 60. Jahrestag des Kriegsendes mit einer Anzeige unter der Überschrift "Gegen das Vergessen" an die Öffentlichkeit zu wenden?

Schultze-Rhonhof: Der Öffentlichkeit wird im Augenblick ein umgedeutetes Geschichtsbild untergeschoben. Es wird so getan, als wären wir 1945 als ganzes Volk befreit worden. Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Die beiden Bundespräsidenten Theodor Heuss (FDP) und Richard von Weizsäcker (CDU) sowie Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) haben alle drei während ihrer Amtszeit in Reden darauf hingewiesen, daß der 8. Mai 1945 ein Tag mit zwei Gesichtern war. An diesem Tag sind wir sowohl befreit als auch geschlagen worden.

Was meinen Sie damit genau?

Schultze-Rhonhof: Die Opfer des Nationalsozialismus sind natürlich befreit worden, und das deutsche Volk ist von einer Ideologie befreit worden. Die Masse des Volkes war damals über das Kriegsende erleichtert. Aber eine Erleichterung kann man nicht als Befreiung bewerten, wenn man bedenkt, was danach kam. Nach dem 8. Mai wurden 15 Millionen Deutsche aus ihrer Heimat vertrieben und haben Haus und Hof verloren, anderthalb Millionen deutsche Kriegsgefangene wurden noch nach dem Krieg ermordet oder sind verhungert, über eine Million deutsche Frauen wurden von den Siegern vergewaltigt, über drei Millionen Bürger sind verhungert oder an Seuchen gestorben. Das kann man doch nicht als Befreiung bewerten! Es ist geradezu zynisch, wenn man der Erlebnisgeneration von damals erzählt, daß sie befreit worden ist. Die Freiheit kam erst später.

Das verbreitete Geschichtsbild sieht mittlerweile aber anders aus.

Schultze-Rhonhof: Dieses falsche Geschichtsbild, das uns jeden Tag im Fernsehen, in Kinofilmen, und in Zeitungsartikeln präsentiert wird, kann ich einfach nicht mehr ertragen. Ich habe das Kriegsende als Kind erlebt. Als die Amerikaner und kurz darauf die Russen in unseren Ort kamen, hatte das nichts mit Freiheit zu tun. Das wollte ich mit dieser Anzeige einfach mal kund und zu wissen tun. Und ich weiß, daß Millionen von Deutschen das auch so sehen. Doch die werden heute durch die Medien und die Politiker einfach untergebuttert.

Die öffentliche Diskussion in Deutschland um den 8. Mai läuft derzeit darauf hinaus, daß man die deutschen Opfer des Krieges nicht erwähnen kann, ohne sich dem Vorwurf auszusetzen, Ursache und Wirkung zu verwechseln.

Schultze-Rhonhof: Hierzu kann ich nur sagen, daß wir Deutschen den Krieg begonnen, aber nicht allein verursacht haben. Ich habe in meinem Buch "Der Krieg, der viele Väter hatte" anhand von Archivfunden, Memoiren und der Geschichtsschreibung der Alliierten dargestellt, wer damals für den Kriegsausbruch verantwortlich war: Die Verursacher saßen in den Regierungen Großbritanniens, Polens, Rußlands, Amerikas und Italiens genauso wie in der deutschen Reichsregierung. Auch das ist eine Sache, die sowohl in der Medienberichterstattung als auch beispielsweise in deutschen Schulbüchern unterschlagen wird.

Eine Berliner Bezirksverordnetenversammlung ist Anfang des Jahres heftig für einen Beschluß angegriffen worden, in dem ebenfalls die beiden Seiten des 8. Mai thematisiert wurden. Erwarten Sie auf Ihre Anzeige ähnliche Reaktionen der Öffentlichkeit?

Schultze-Rhonhof: Da stellt sich die Frage, wer ist denn die Öffentlichkeit? Die Öffentlichkeit sind doch nur Partei- und Medienleute. Der Mann auf der Straße wird doch gar nicht gefragt. Ich habe einmal im Zusammenhang mit einem öffentlichen Großen Zapfenstreich der Bundeswehr erlebt, wie eine solche Sache abläuft. Damals wurde ein Fernsehteam mit dem Auftrag losgeschickt, acht Stellungnahmen gegen und zwei für den Großen Zapfenstreich einzufangen. So werden Meinungen gemacht. Und das wird uns dann als öffentliche Meinung serviert.

Welche Wirkung erhoffen Sie sich von der Anzeige?

Schultze-Rhonhof: Ich hoffe, daß die patriotischen und wertkonservativen Leute durch so eine Aktion ein bißchen mehr Mut finden, sich zu äußern. In jüngster Zeit gab es ja bereits einige Beispiele, etwa den Protest ehemaliger und aktiver Diplomaten gegen die geänderte Nachrufpraxis im Auswärtigen Amt oder die heftigen Reaktionen auf die Umbenennung der Mölders-Kaserne und des Jagdgeschwaders 74. Vielleicht fühlt sich der eine oder andere durch diese Beispiele ermuntert und findet den Mut, sich ebenfalls zu Wort zu melden. Die meisten Menschen haben ja heute keinen Mut mehr, sich zu solchen Themen zu äußern, da sie sofort verdächtigt werden, sie hätten eine extreme Meinung.

Welchen Erfolg wird die Initiative haben?

Schultze-Rhonhof: Die vorherrschende Medienmeinung werden wir mit dieser Anzeige nicht knacken können. Aber im Dritten Reich gab es auch nur wenige Leute, die eine andere Meinung geäußert haben. Das Urteil spricht immer die Geschichte. Dabei ist nicht entscheidend, wie viele Menschen eine bestimmte Meinung vertreten, sondern daß die Meinung richtig ist. 

 

Gerd Schultze--Rhonhof ist Generalmajor a.D. 1996 bat er aus Protest gegen die Wehrdienstzeitverkürzung um seine Entlassung.

 

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