© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 17/05 22. April 2005

Benes-Dekrete werden wieder debattiert
Slowakei: Ungarische Minderheit fordert Entschädigung für erlittenes Leid nach 1945 / Verstimmungen zwischen Budapest und Pressburg
Alexander Barti

Wie in der vergangenen Woche bekannt wurde, hat der slowaki-sche Ministerpräsident Mikulás Dzurinda ein Treffen mit seinem ungarischen Amtskollegen Ferenc Gyurcsány abgelehnt. Als Begründung nannte die slowakische Seite eine Aussage des politischen Staatssekretärs im Budapester Außenministerium, András Bársony, der angeblich gesagt haben soll, die Debatte über die sogenannten Benes-Dekrete sei zwischen Ungarn und der Slowakei noch nicht abgeschlossen.

Der diplomatische Zwischenfall schlug vor allem deshalb Wellen, weil die sozialistisch-linksliberale Regierung in Budapest bisher dafür bekannt war, die Rechte der ungarischen Minderheiten in den Nachbarländern auf dem Altar der "politischen Vernunft" zu opfern. Auch diesmal mag es sich eher um einen Testballon gehandelt haben, denn im Frühjahr 2006 wird gewählt, und da macht es sich immer gut, mit markigen Sprüchen den oppositionellen bürgerlich-konservativen Kräften einige Stimmen abzujagen.

Hinzu kommt, daß die Vorlage eigentlich von den slowakischen Magyaren geliefert wurde. "Das Thema Benes-Dekrete muß endlich aufgearbeitet werden", forderte der Vorsitzende der in Preßburg mitregierenden Ungarischen Koalitionspartei (MKP), Béla Bugár, in einer Fernsehdiskussion. Bugár stellte klar, daß ihm das Thema nicht wegen der bevorstehenden Regionalwahlen ein Anliegen sei, sondern weil sich die "Erklärung von Kaschau" (Kassa/Kosice) zum 60. Mal jährte. Die Deklaration vom 5. April 1945 leitete im Schatten der Roten Armee die Wiederherstellung der Tschechoslowakei in die Wege.

Die "Tätervölker" wurden enteignet

In der Tschechei hatten die zunächst aus dem Exil erlassenen Dekrete von Präsident Edvard Benes denselben Zweck erfüllt. Die Kaschauer Erklärung und die berüchtigten Benes-Dekrete sahen Sanktionen für "Besatzer" und "Kollaborateure" auf Basis einer Kollektivschuld-Annahme vor. Die "Tätervölker" - Deutsche und Magyaren - wurden enteignet, ihre Staatsbürgerschaft wurde ihnen aberkannt und die an ihnen verübten unsagbaren Verbrechen in den ersten Monaten nach der "Befreiung" ließ man als legitime Strafaktionen gegen "Faschisten" unter den Tisch fallen.

Bei einem Treffen der slowakischen Magyaren in Komorn (Komárom/Komarnó) verabschiedete man eine Forderung nach Entschädigung. Die Slowakei habe bereits vor Jahren die Juden und Deutschen entschädigt, die Magyaren aber noch nicht: "Daher erwarten wir, daß die Slowakei die Magyaren mindestens in Form eines symbolischen Aktes für das erlittene Leid entschädigt." Sollte es sich herausstellen, daß auch Ungarn noch ungesühnte Schuld auf sich geladen hat, so sollte auch diese wieder gutgemacht werden.

Slowakische Politiker reagierten auf die Aussagen ihrer magyarischen Kollegen zurückweisend. Ex-Ministerpräsident Vladimir Meciar von der linksnationalen Bewegung für eine demokratische Slowakei (HDZ) sah in der neu entfachten "historisch abgeschlossenen Debatte" einen Versuch der Provokation. Etwas knackiger formulierte es der "slowakische Tony Blair", der sozialdemokratisierende "Yuppie" Róbert Fico. Es sei unerträglich, daß die Legitimität der 1945 geschöpften Dokumente öffentlich in Zweifel gezogen würde, erklärte der Hoffnungsträger der gemäßigten linkspopulistischen Partei Smer in Preßburg.

"Die Magyaren sind ein Geschwür"

Seinem Amt als Staatspräsident angemessen sagte der Ex-Kommunist Ivan Gasparovic einer slowakischen Zeitung, das Kapitel über die Ereignisse nach 1945 sei abgeschlossen, hier neue Verhandlungen zu beginnen, sei nicht angebracht. Gasparovic betonte in dem Gespräch, nicht nur die Slowakei, sondern auch die Europäische Union hätte große Probleme mit einer Debatte um eine Entschädigung für die betroffenen Menschen.

Nicht überraschend waren die Ausfälle des Bürgermeisters von Sillein (Zsolna/Zilina), Ján Slota, der bei den letzten Wahlen mit seiner rechten Slowakischen Nationalpartei (SNP) den Wiedereinzug ins Parlament nicht schaffte. Die "Magyaren sind ein Geschwür", das die Stabilität Europas gefährde. Man müsse es daher möglichst schnell entfernen, empfahl Slota den Slowaken und kündigte an, entsprechende Vorschläge dem Straßburger EU-Parlament vorzulegen.

Egal wie man die Reaktionen gewichtet, eines wird man angesichts der Preßburger Töne nicht leugnen können: Die Benes-Dekrete sind nach wie vor gültig, und sowohl Prag als auch Preßburg fürchten ihre Aufhebung wie der Teufel das Weihwasser.

Bisher ist es der tschechischen und slowakischen Diplomatie gelungen, die Dekrete als "praktisch nicht mehr wirksam" zu verkaufen - auch bei den Verhandlungen über den EU-Beitritt. Es wird noch viel Wasser die Donau herunterfließen, bis die Benes-Dekrete und mit ihnen zahlreiche andere Rache-Gesetze aufgehoben werden, die eine ehrliche Aussöhnung der europäischen Völker verhindern.


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