© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 17/05 22. April 2005

Frisch gepresst

Fehlentscheidungen. "Wenn", "hätte", "wäre" sollten bei historischen Betrachtungen als Maßstab von Wertungen eher ausscheiden, obwohl die Verführung, sich seine eigene Geschichte zu spinnen, für viele immer wieder verlockend ist. Hans-Dieter Otto, der bereits durch Publikationen wie das "Lexikon militärischer Irrtümer" in Erscheinung getreten ist, gibt sich ihr auch mit seinem jüngsten Werk freudig hin (Lexikon fataler Fehlentscheidungen im Zweiten Weltkrieg. Von Alpenfestung bis Zitadelle. Herbig Verlag, München 2005, 320 Seiten, gebunden, 22,90 Euro). So dekliniert er verschiedene Punkte des Zweiten Weltkrieges durch, wobei der "fatale Irrtum", den Otto auszumachen glaubt, nicht immer dem jüngsten Stand der militärhistorischen Forschung entspricht. Hitlers Verbot einer Kapitulation Stalingrads etwa deutet er als Kampf "um ein Symbol, das unter allen Umständen gehalten werden muß", ohne wahrzunehmen, daß auch die Wehrmachtsführung die Bindung vieler sowjetischer Kräfte an der Wolga um der Stabilisierung der südlichen Ostfront willen als geboten ansah. So führt Otto viele Beispiele an, um als "zentrale Figur verheerender Irrtümer" des Krieges Hitler auszumachen. Das ist nicht neu und gehörte nach 1945 zum Rechtfertigungsrepertoire vieler Heerführer - wissenschaftlich haltbar ist dieser monokausale Ansatz gewiß nicht.

Parallelen. Die These eines "dreißigjährigen Krieges" zwischen 1914 und 1945 ist sicher nicht neu. Trotzdem konnte sich diese nicht unplausible Ansicht im Wissenschaftsbetrieb nur peripher behaupten. Der Historiker Richard Grill geht dem Ansatz auf die Spur, indem er Parallelen und Unterschiede zum Dreißigjährigen Krieg von 1618 bis 1648 untersucht. Obwohl als äußerliche Gemeinsamkeit eigentlich nur die Verwüstung und Entmachtung Deutschlands auffallen muß, sieht Grill in seiner flüssigen, manchmal jedoch fast polemisch wirkenden Darstellung auch im Handeln der Gegner und Sieger Analogien. Dabei hätte die latent durchschimmernde Annahme, in beiden Kriegen habe das Endresultat - die Vernichtung des Reiches - auch als ursprüngliche Maxime des Feindes gegolten, ein etwas stabileres Fundament im Anmerkungsapparat verdient. So lädt Grills Werk allenfalls zur Vertiefung einer interessanten Idee ein (1618–1648 Dreißigjähriger Krieg 1914–1945. Ausgangslage - Grundlinien - Katastrophe. R. G. Fischer Verlag, Frankfurt/Main 2005, 359 Seiten, broschiert, 24,80 Euro).


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