© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 18/05 29. April 2005

Dem Sog entzogen
Kinder bekommen die Leute weder von alleine noch durch finanzielle Anreize
Ellen Kositza

Bundeskanzler Gerhard Schröder will Deutschland zum familienfreundlichsten Land Europas machen. "Ohne junge Familien", so eine Kernaussage in Schröders Grundsatzrede zur Familienpolitik vor einem Kreis aus Wirtschaftsgrößen, gebe es "keinen Fachkräftenachwuchs, keine Innovation, kein Wachstum". Gemeint ist nicht nur das "Humankapital" in Form von Kindern, die Frauen sich immer weniger zu gebären imstande sehen, sondern auch jene "erstklassig ausgebildeten Frauen, die gegen ihren Willen nicht arbeiten können" - weil sie Kinder erziehen und diese Aufgabe nicht mit einer Erwerbstätigkeit verbinden können.

Ob sie dies, erstens, überhaupt wollen, und ob, zweitens, die junge Mutter am Computer mit dem Kleinkind im Arm, die manche Zeitung jetzt als sinnfälliges Titelbild präsentierte, künftig gebärwilliger gestimmt wäre, würde das Kind nicht auf dem Schoß, sondern in einer Betreuungseinrichtung sitzen, sind Fragen, denen sich Schröder ebensowenig stellt wie seine zuständige Familienministerin. Renate Schmidt forderte nun aufs neue, junge Eltern schneller ins Arbeitsleben zu integrieren und so die Motivation für mehr Kinder zu erhöhen. Angesichts der jüngsten Meinungsumfragen, nach denen nur neun Prozent der Kinderlosen mangelnde Betreuungsmöglichkeiten als Grund für den Verzicht auf Kinder nannten, dürfte hier von einem sozialdemokratischen Paralleluniversum zu sprechen sein.

Fakt ist, daß 1,4 Millionen Geburten im Jahr 1964 heute eine Zahl von jährlich rund 700.000 gegenübersteht. Unstrittig ist ebenso, daß dem Familiensterben ein Ende bereitet werden muß. Fraglich ist allein, wodurch die Geburtenrate gesteigert werden kann - und wozu?

Daß die Wertung der Familie als "Dienstleistungsbetrieb für die Wirtschaft" (Kostas Petropulos) unübersehbar geworden ist, unterstreichen die jüngsten Ausführungen Schröders nur: "Mit jedem Kinderwunsch, der unerfüllt bleibt, geht der nächsten Generation ein möglicher Leistungsträger verloren." Wer das Attribut "zynisch" scheut, mag es doch für erbarmungswürdig halten, welchen Wert die Regierung Familien beimißt, einen monetären, ökonomisch fundierten nämlich.

Die harten Worte von Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt, wonach die jährlichen und weltweit einzigartigen Ausgaben des Bundeshaushalts in Höhe von 150 Milliarden für Belange der Familien nicht zu einem Anstieg der Geburtenzahlen geführt hätten und deshalb zurückzufahren seien, verdeutlichen die Crux der gängigen familienpolitischen Modelle: Kinder bekommen "die Leute" weder "von allein" wie zu Adenauers Zeiten noch durch finanzielle Anreize, die die materiellen Aufwendungen nur mager entschädigen - zumal, wenn das Geld in "Infrastrukturverbesserungen" hängenbleibt und sich nicht im Budget der Privathaushalte auswirkt.

Die Einlösung des einstigen Wahlkampfversprechens einer Erhöhung des Kindergeldes von derzeit 154 auf 200 Euro blieb die Regierung Schröder schuldig. Jenseits des Betroffenenkreises ging auch die bald nach Regierungsantritt veranlaßte Absenkung der Einkommensgrenzen für den Bezug von Erziehungsgeld von 51.000 auf 30.000 Euro jährlich weitgehend unbemerkt vonstatten. Gerade für Akademikerfamilien - 40 Prozent der Frauen mit Hochschulabschluß bleiben kinderlos - bedeutet die Entscheidung für Kinder einen erheblichen finanziellen Einbruch. Daß beruflich qualifizierte Frauen ein Jahr nach Geburt ihres Kindes bereits die Erziehung auslagern wollen, um wieder der Wirtschaft als tätiges Rädchen zur Verfügung zu stehen, suggerieren die Einlassungen von Hundt - dabei spricht hier eine totalitär anmutende Arbeitswelt, um zu absorbieren, was sich dem Sog der Wirtschaft noch entzieht: sorgende Elternschaft.

Wodurch aber entsteht der Kinderwunsch im postfeudalistischen, weitgehend glaubens- und wertearmen Zeitalter, das zugleich ein Zeitalter der Pille und des Massenkonsums ist? Für Schröder und Schmidt ist die Antwort simpel: durch die Gewährleistung eines Outsourcing der Betreuungsarbeit - eben jener Leistung, die Elternschaft substantiell ausmacht.

Diese weltanschaulich unterfütterte Idee einer weitgehenden Delegierung der Fürsorge mit all den Freuden und Anstrengungen, die Erziehung mit sich bringt, ist in einem rot-grünen Großvorhaben opulent Wort geworden: dem "Tagesbetreuungsausbaugesetz". Vier Milliarden Euro stellt die Regierung bis 2007 für den Ausbau von Ganztagsschulen zur Verfügung. Daß bislang gerade ein gutes Zehntel dieser Summe von Ländern und Kommunen abgerufen wurde, mag veranschaulichen, wie deutlich dieses ideologisch begründete Mammutprojekt an den Realitäten und Wünschbarkeiten junger Eltern vorbeigeht.

Wer keine Kinder habe, könne kein existentielles Interesse an der Zukunft beanspruchen, lautet eine dogmatische Formel des Soziologen Norbert Bolz. Wäre man boshaft, könnte man die grundlegende Sinnfrage der Schröderschen Politik angesichts des Fehlens eigener leiblicher Kinder des Kanzlers mit einer in seiner Rede getätigten Aussage im Sinne Bolz' beantworten: Kinder, so Schröder, seien "die Antwort auf die Frage nach dem Sinn der täglichen Plackerei". Der Kanzler, augenscheinlich verblüfft über solch definitive Aussagen im offenbar fremdverfaßten Redemanuskript, hatte hier innegehalten und angefügt: "So steht es hier jedenfalls."


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