© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 18/05 29. April 2005

Und er bleibt doch im Amt
Visa-Affäre: Der Außenminister steht dem Untersuchungsausschuß Rede und Antwort und denkt trotz eingeräumter Verfehlungen nicht an Rücktritt
Markus Schleusener

Der Tag fing gleich schlecht an für Hans-Peter Uhl (CSU). Der Vorsitzende des Visa-Untersuchungsausschusses wirkt nicht gerade durchsetzungsfähig. Die Fotografen wollen beim besten Willen nicht von Fischers Seite weichen. Nur widerwillig kommen sie Uhls Aufforderung nach.

Für Fischer ist bis zu diesem Moment alles wie gehabt: Alle Kameras sind auf ihn gerichtet. Erst als die Fotografen weg sind, wird ihm richtig bewußt, daß es diesmal nicht so ist wie sonst. An diesem Montagmorgen wird über Verfehlungen seines Ministeriums gesprochen - Fischer ist quasi ein Angeklagter.

Fischer stellt sich selbst vor: "Joseph Martin Fischer, auch genannt Joschka Fischer." Als Beruf gibt er an "Bundesaußenminister", der Dienstort sei Berlin, Werderscher Markt. Uhl wirkt weiterhin unsouverän. Er liest Fischer seine Rechte vor. Anschließend gibt er eine Erklärung ab, die nicht mit den Mitgliedern der Regierungsfraktionen abgesprochen ist. Uhl startet ein regelrechtes Feuerwerk reinster CDU/CSU-Propaganda: "Tausende von Ausländern" seien infolge der Visa-Affäre ins Land gekommen. Er spricht über angebliche Schleuser-Kriminalität, "deren Folge Schwarzarbeit und Prostitution" gewesen seien.

Fischer antwortet auf diesen Affront - zumindest wird Jerzy Montag (Grüne) diesen Prolog später so darstellen - ruhig und gelassen. Er werde "auf der Grundlage von Bruchstücken seiner Erinnerung" und mit den Erkenntnissen aus seinem "intensiven Aktenstudium" antworten. Damit eröffnet er seinen zweistündigen Monolog: "Erinnerung" (ist in den kommenden zwölfeinhalb Beratungsstunden meistens stark eingetrübt) und "Aktenstudium" (soll vermitteln, daß er fleißig und reumütig zugleich ist). Dann leitet er zur Gegenoffensive über: "unsägliche Skandalisierung" (durch die Opposition) heißt das Schlüsselwort. Es wird mehrfach fallen an diesem Montag.

Fischer zeigt Reue. Er räumt Fehler ein, etliche Fehler. Er sagt, er sei verantwortlich für die Formulierung "in dubio pro libertate" und spricht vom Fischer-Erlaß (statt Volmer-Erlaß). "Der Minister trägt die Verantwortung, so sieht es das Gesetz", räumt er ein. Er weiß, daß ihm nichts mehr geschadet hat in den letzten Monaten als jene Pressekonferenz, auf der er Fehler "seiner Mitarbeiter" einräumte. Fischer war nie herablassender. Jetzt lobt er die eigenen Leute über den Klee. Trotz seiner Reuebekundungen wirkt Fischer als einziger souverän, ganz anders als Ludger Volmer (Grüne) in der Woche davor. Die Abgeordneten sind aufgeregter als der Minister. Die Kameras zeigen Wirkung. Dann sagt Fischer etwas, das ihm fast alle Journalisten später als Versprecher auslegen, den er aus Nervosität gemacht habe. Die Beobachter haben nicht genau hingehört und nicht sorgfältig genug zugeschaut. Als Fischer "Hausbesprechung" sagen will, kommt ihm das Wort "Hausbesetzung" über die Lippen. Hundertprozentig ein geplanter Versprecher.

Fischer kokettiert abermals mit seiner Vergangenheit

Fischer wäre nicht Fischer, wenn ihm dieser Lapsus versehentlich unterlaufen wäre - dazu noch am Anfang seiner Vernehmung und nicht nach zehn Stunden. Fischer kokettiert mit seiner Vergangenheit als Frankfurter Putztruppen-Guerillero. Alle lachen.

Dann ist er sofort wieder sachlich und erinnert unterwürfig daran, daß er zwar kein Jurist sei - daß aber viele Juristen in diesem Ausschuß säßen, die es mit Gesetzen immer ganz genau nähmen. Stimmt. Juristen wie Hellmut Königshaus sitzen in dem Gremium. Der Liberale sitzt zwischen dem Unionsobmann Eckart von Klaeden und dem Ausschußvorsitzenden Uhl. Er läuft den anderen beiden Oppositionspolitikern den Rang ab. Und das, obwohl er als FDP-Mann die kürzeste Redezeit hat.

Erst einmal ist der Ball wieder bei Fischer. Er holt sein stärkstes Argument hervor. Es ist der Beweis dafür, daß CDU/CSU und FDP nur aus machtpolitischen Motiven handeln. Er verliest den Satz: "Sie (die Botschaftsangehörigen) sollen von ihrem Ermessenspielraum positiv Gebrauch machen." "Wissen Sie, wo das steht?" fragt Fischer. "Sie wissen es: Im Leitfaden von 1993", schiebt er die Antwort gleich hinterher - und legt weitere Argumente nach, auf die die Opposition nichts erwidern kann: Fischer erinnert an die Zustände in der Warschauer Botschaft zehn Jahre vor den Kiewer Vorgängen.

1990/1991 öffnete der damalige Außenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP) die Schleusen für Polen. Und anders als in den Jahren nach 1999 folgte damals wirklich eine massive Einreisewelle. Am Potsdamer Platz in Berlin gab es bereits 1989 den sogenannten Polen-Markt. Diesem wilden Straßenhandel wurden die Behörden jahrelang nicht Herr. In Ausmaß und Umfang stellt die Einreisewelle von Osteuropäern in der Kohl-Ära alles in den Schatten, was sich unter Rot-Grün abgespielt hat. Die Zahl der Polen, die damals ein Visum für die Bundesrepublik erhielten, war viermal so hoch wie die der an Ukrainer ausgestellten Visa. Diese vorbildliche liberale Politik aus der Kohl-Ära habe er, Fischer, fortsetzen wollen. Wer hätte je solche Worte aus dem Mund eines Mannes gehört, der Kohl alle Naselang wegen unbedeutender Dinge zum Rücktritt aufgefordert hat?

In der ersten Pause am Nachmittag treten die Frontleute der vier Fraktionen vor die Presse. Sie präsentieren vier unterschiedliche Bewertungen, wie die Sitzung bis zu diesem Zeitpunkt gelaufen sei: Jerzy Montag hat einen kämpferischen Fischer erlebt, sagt er. Besonders bemerkenswert findet er die "Panik der Union" vor Fischers Auftritt. Dagegen kontert Königshaus: "Das war ein Geständnis." Die Neuausrichtung der Außenpolitik sei aufgrund "grüner Ideologie" erfolgt, folgert er. Von Klaeden haut - etwas vorsichtiger - in die gleiche Kerbe. In seinen Augen hatte Fischers Aussage "zum Teil Geständnischarakter".

Das Verhör wird alsbald wieder aufgenommen. Es dauert bis in die Nacht. Nach mehr als zwölf Stunden ist es vorbei. Fischer ist nicht Gewinner, aber auch nicht Verlierer, als er von dannen zieht. Aber immer noch Außenminister.


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