© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 18/05 29. April 2005

Viel Prügel und ungebetener Applaus
Sachsen: Heftige Reaktionen auf das schriftliche Bekenntnis der Jungen Union zur Nation / Abgrenzungsbemühungen
Ekkehard Schultz

Die Denkschrift der Jungen Union (JU) Sachsen-Niederschlesien zum Thema Nation und Vaterland (JF 16/05) mit dem programmatischen Titel "Ein Wert für sich: Deutschland" hat dem Landesverband der CDU-Nachwuchsorganisation scharfe Kritik von SPD, PDS und Grünen eingebracht.

Die JU versteht das siebenseitige Papier als Beitrag zur Diskussion um Nationsvergessenheit und Wertekultur. Die Denkschrift kritisiert das "von Negation und Abwehr geprägte Nationalgefühl" der heutigen Regierung: "Selbst rot-grüne Bundesminister machen keinen Hehl daraus, daß sie die Nationalhymne nicht singen wollen. Dies ist eine verheerende Demonstration der Gleichgültigkeit gegenüber unserem Vaterland." Dabei sei es nach Auffassung der JU gerade in einer Zeit der Europäisierung und Globalisierung geboten, Menschen durch Identifikation als Bundes- und Landesbürger "Halt" zu geben. Doch die derzeitige Entwicklung belege das Gegenteil: "Politische Tabus, politische Korrektheit und postnationale Identität bieten nicht das einigende Band, das die Menschen in Deutschland zusammenhält", so die JU und stellt fest: "Das Selbstverständnis der Deutschen ist das eines Volkes, nicht das einer politischen Nation".

Zudem fordert die JU ein Ende der "überbordenden Toleranz". Jedem Staatsbürger müsse wieder bewußt werden, daß neben Rechten immer auch Pflichten stünden. Zu letzteren zähle die Übernahme von Verantwortung - nicht nur für sich selbst, sondern auch für andere: "Werte und Tugenden wurden diskreditiert, anstatt sie als ein Fundament der Gesellschaft zu stärken. Ehrlichkeit, Disziplin und Fleiß, Verläßlichkeit und Treue - das sind Werte, die vermittelt und gelebt werden müssen, um den Menschen des Landes gesellschaftliche Anstrengungen abverlangen zu können."

Ein weiterer Schwerpunkt des Papiers, das die JU Anfang April auf ihrem Landestag in Torgau als Leitantrag beschlossen hat, nimmt zum aktuellen Streit um die soziale Verantwortung von Unternehmen Stellung: "Unternehmerische Betätigung bedeutet... auch Verantwortung für die Mitarbeiter der Unternehmung". Doch "nicht die von Gewerkschaften und anderen linken Vorkämpfern eingeführten Knebelungsmaßnahmen helfen der deutschen Wirtschaft, sondern das sozial verantwortungsbewußte Handeln des Unternehmens gemeinsam mit seiner Belegschaft und deren Vertretern."

Die Jusos in Sachsen beschuldigten den CDU-Nachwuchs in einer Pressemitteilung, "unverhohlen ideologische und rhetorische Anleihen beim rassistischen Nationalismus" zu nehmen. Der Juso-Bundesvorsitzende Björn Schumacher sah im Papier "Blut- und Boden-Rhetorik in ihrer reinsten Form". Und Niels Annen, Leiter der Arbeitsgruppe Rechtsextremismus beim SPD-Parteivorstand, wertete einen dem Papier vorangestellten Spruch des Philosophen Johann Gottlieb Fichte als "expliziten Bezug auf völkisches Denken". "Du sollst an Deutschlands Zukunft glauben, an deines Volkes Auferstehn, lass diesen Glauben dir nicht rauben, trotz allem, allem was geschehen" sei ein "Code, der sich in vielen rechtsextremen Schriften" finde. Die jugendpolitische Sprecherin der PDS, Juliane Nagel, bezeichnete den Entwurf als "altbacken und reaktionär" und wertete den "Volks"-Begriff als "unscharf" und daher "überholt". "Die Jungen Konservativen hingegen meinen, gerade im 60. Jahr der Befreiung vom Nationalsozialismus mit historischer Verantwortungslosigkeit auftrumpfen zu müssen. Wer wie die Junge Union eine 'völkische Identität' beschwört und diese sogar noch als Inhalt einer 'höheren Sinnstiftung' einfordert, zieht den Schlußstrich unter die einzigartigen Greueltaten, die durch die Überhöhung der deutschen Nationalität 1933-1945 verübt worden.", sagte Nagel.

Der Landesvorstandssprecher der sächsischen Grünen, Claus Krüger, sprach sich "für Verfassungspatriotismus statt Deutschtümelei" aus: Der wichtigste Wert sei "nicht die Nation, sondern die Würde des Menschen, die es zu schützen und zu verteidigen" gelte.

Die Kritiker der Denkschrift lasteten der JU ferner an, daß diese "mit der verdächtigen Rhetorik", die sich in ihrem Papier widerspiegele, sofort "Beifall" von der NPD, deren Jugendorganisation, Junge Nationaldemokraten (JN), sowie der Bürgerinitiative "Pro Köln" ernte. Der JN-Bundesvorsitzende Stefan Rochow hatte gelobt, die JU habe erkannt, "daß der politische Einsatz für sein Land und die Liebe zu ihm dicht miteinander verbunden sind". Holger Apfel, NPD-Fraktionsvorsitzender im Sächsischen Landtag, sprach von "einem hoffnungsvollen Zeichen für die Zukunft Sachsens" und machte den Mitgliedern der JU, die den Inhalt der Denkschrift "mittragen", das Angebot einer "kritisch-konstruktiven Zusammenarbeit".

Daraufhin sah sich der Landesvorsitzende der JU, Christian Piwarz, vergangene Woche genötigt, in einer Erklärung zu betonen, daß die JU "Politik für unser Land nicht mit Rattenfängern" mache, "die deutsche Geschichte und Verantwortung instrumentalisieren". So werde ein Gespräch mit der NPD "zu keiner Zeit stattfinden, da kein Gesprächsbedarf mit Rechtsextremisten besteht". Die Junge Union Sachsen und Niederschlesien - so Piwarz - setze lediglich "eine Debatte fort, die Johannes Rau und Doris Schröder-Köpf viel eher begonnen haben". Schon daher unterscheide sich "unsere demokratische Vorstellung von Patriotismus eklatant von der der NPD".

Piwarz, der auf dem JU-Parteitag als Vorsitzender bestätigt worden war, verschwieg nicht, daß die Union seit der Landtagswahl im vergangenen Jahr, bei der die CDU eine deutliche Niederlage hinnehmen mußte, deutlich unter Druck von rechts stehe. Man dürfe "die Deutungshoheit über Themen wie Patriotismus und Werte nicht den Rechtsextremen überlassen", sagte der JU-Chef.

Unter Kritik von SPD, PDS und Grünen geriet in diesem Zusammenhang mittlerweile auch der sächsische Ministerpräsident und CDU-Landeschef Georg Milbradt. Milbradt hatte am Landestag der Nachwuchsorganisation in Torgau teilgenommen und in seiner Rede die Delegierten ausdrücklich dazu aufgefordert, "nachhaltige Konzepte gegen die verbrauchte Politik von Rot-Grün zu entwickeln".


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