© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 18/05 29. April 2005

Lebende Reaktoren
Umwelt: "Saubere" Biotechnik statt "schmutziger" Chemie? Umweltbundesamt bilanziert biotechnische Methoden ökologisch
Dirk Zahn

Das Umweltbundesamt (UBA) bescheinigt der Biotechnik positive Effekte auf den Umweltschutz. Allerdings hängen die Ergebnisse der Untersuchung von den Details der gewählten Vergleichszenarien ab. Die UBA-Studie unter dem Titel "Entlastungseffekte für die Umwelt durch Substitution konventioneller chemisch-technischer Prozesse durch biotechnische Verfahren" leidet somit unter den Problemen jeder Ökobilanz.

Das UBA wendet sich speziell dem Bereich der "weißen Biotechnik" zu, also der Herstellung von Chemikalien und Materialien mittels (zum Teil genveränderter) Organismen. Im Vergleich zur roten und grünen Biotechnik, also der medizinischen und Agrar-Biotechnik, ist die weiße kaum ins öffentliche Bewußtsein gedrungen. Fünf verschiedene Verfahren bzw. Produkte wurden untersucht. In allen Fällen waren sowohl die konventionell-chemische als auch biotechnologische Variante praktisch erprobt. Es handelt sich dabei um so verschiedene Anwendungen wie die Synthese von Vitamin B2, die Ledergewinnung, die Herstellung von Verpackungsmaterial, den Einsatz von Wachstumsförderern in der Tierzucht sowie die Wäschereinigung.

Um einen Vergleich zu ermöglichen, stellte das beauftragte Bayerische Institut für angewandte Umweltforschung und -analytik eine nach DIN EN ISO 14040 ff. normierte Ökobilanz auf.

Wie bei jeder anderen Bilanz wird in einer Ökobilanz ein Soll und Haben berechnet. Im Fall der Ökobilanz bedeutet das Zufuhr von Ressourcen und Freisetzung von Produkten und Schadstoffen. In den meisten Fällen stehen Stoff- und Energiebilanzierung im Vordergrund, da diese quantitativ erfaßbar sind. Allerdings kann sich eine Ökobilanz nicht auf das Erfassen von Zahlen beschränken. Man muß die Zahlen hinsichtlich ihrer ökologischen Relevanz bewerten. Dafür haben sich verschiedene Methoden als sinnvoll erwiesen, die durch Normen festgelegt sind und somit eine relativ objektive und nachvollziehbare Gewichtung erlauben.

Reduktion der Schwefeldioxidemission

Eines der normierten Bewertungsverfahren ist die Wirkungsabschätzung. Dabei faßt man die Stoffe zu Belastungskategorien zusammen. Solche Kategorien sind zum Beispiel Ozonabbau, Versauerung von Böden und Gewässern, Giftigkeit für Menschen oder Ökosysteme. Die Anwendung dieser standardisierten ökobilanziellen Regeln ergab in den untersuchten fünf Fällen unterschiedliche Ergebnisse:

Bei der Herstellung von Vitamin B2 standen zwei chemische Verfahren zum Vergleich zur Verfügung. Es ergaben sich für die Kategorien Energieverbrauch, Treibhauspotential, Versauerungspotential, Eutrophierung und Ozonbildung ähnliche Ergebnisse. Das biotechnische Verfahren reduzierte besonders das Versauerungspotential durch die Reduktion der Schwefeldioxidemission. Auch in den anderen Kategorien waren die chemischen Verfahren schädlicher. Lediglich bei der Eutrophierung der Gewässer schnitt das biotechnische Verfahren schlechter ab.

Noch deutlicher fielen die Unterschiede bei der Lederherstellung aus. Bei den untersuchten Teilschritten des "Weichens" und "Äscherns" werden im herkömmlichen Verfahren aggressive Chemikalien eingesetzt. Sie lösen die Haare auf und bereiten die Tierhaut für die folgenden Bearbeitungsschritte vor. Der Einsatz von biologischen Enzymen reduziert die Umweltbelastung in allen Wirkungskategorien deutlich.

Etwas komplizierter stellen sich die Verhältnisse bei den folgenden drei Beispielen dar. Bei ihnen wird nicht das Herstellungsverfahren eines Stoffes geändert, sondern ein Stoff durch einen funktionell gleichwertigen ersetzt. In diesen Fällen muß nicht nur die Herstellung, sondern auch die Verwendung und Entsorgung oder Verwertung in die Bilanzierung einbezogen werden.

Beim Einsatz von Schaumstoffschnipseln aus Polystyrol beziehungsweise Stärke unterschieden sich die konventionell petrochemische und die biochemische Variante kaum. Welche Variante beim Energieverbrauch die Nase vorne hatte, hing von den angenommenen Wiederverwertungsszenarien ab.

Ganz anders die Verhältnisse bei den letzten beiden Vergleichen. Daß der Einsatz von Enzymen in Waschmitteln die notwendige Waschtemperaturen senkt und den Einsatz von Stoffen reduziert, die zur Eutrophierung von Gewässern führen, hat sich mittlerweile herumgesprochen. Überraschend ist eher das letzte Resultat: Leistungssteigernde Präparate in der Tiermast sind ökologisch gesehen zu begrüßen! Durch diese Präparate wird nämlich das Futter besser verwertet und so die Menge an einzusetzendem Material bzw. zu entsorgender Gülle deutlich reduziert.

Zusammengefaßt ergeben sich in vier von fünf Fällen deutliche Vorteile für die biotechnische Variante. Wenig überrascht bei den Vergleichen, daß neben dem Einsatz aggressiver Chemikalien vor allem der Energieverbrauch bei biochemischen Verfahren niedriger ist. Findet doch die Chemie des Lebens in einem engen, relativ niedrigen Temperaturbereich statt, während für die klassische Chemie oft hohe Temperaturen benötigt werden.

Vision einer "molekularen Landwirtschaft"

Zwei Aspekte müssen bei der positiven Bewertung der biotechnischen Verfahren durch das Umweltbundesamt erwähnt werden: Erstens wird das Gefahrenpotential veränderter Organismen grundsätzlich als vernachlässigenswert eingestuft. Zweitens wird nicht die ethische Frage gestellt, ob Lebewesen geschaffen oder verändert werden dürfen, um sie zu lebende Reaktoren zum machen. Bei Einzellern mag man dies leicht hinnehmen.

Die Vision einer "Molekularen Landwirtschaft" (molecular farming) nimmt allerdings bereits konkrete Züge an. So kann auch Ackerpflanzen und Nutztiere dieses Schicksal erwarten. Damit würde sich die Lücke zwischen grüner und weißer Biotechnik schließen.


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