© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 18/05 29. April 2005

"Vergeßt nicht, was Euch bleibt"
Ermordet: Harry Liedtke
Peter Muschol

Harry Liedtke ist heute einer der wenigen Filmschauspieler, denen die Gesamtheit des deutschen Publikums ungeteilte Sympathie entgegenbringt. Er wird nicht nur verehrt, sondern geliebt! Die Geschichte des Star-tums müßte seinen Namen eine Art Sonderstellung einräumen." So stand es 1928 in einem Kommentar zu der beeindruckenden Ausstrahlung des Schauspielers Harry Liedtke, der damals auf dem Höhepunkt seiner Karriere angelangt war.

Geboren wurde er am 12. Oktober 1888 in Königsberg als siebtes von elf Kindern. Er wurde zunächst Angestellter in einem Kolonialwarenladen. Schließlich schaffte er es, in Berlin Schauspielunterricht zu nehmen. Über die Theater in Freiberg/Sa., Bromberg, Görlitz, Göttingen und New York schaffte er 1909 den Sprung ans Deutsche Theater Berlin. 1911 holte ihn der Filmpionier Oskar Meßter zum Kino, das sein eigentliches Medium werden sollte. Es war der Beginn der Stummfilmzeit in Deutschland, und Harry Liedtke drehte jährlich bis zu zehn Filme. Mit 1.500 Mark Tagesgage war er der höchstdotierte Star des europäischen Kinos.

Einer der wenigen, wenn nicht gar der einzige Film, der mit Harry Liedtke als Hauptdarsteller erhältlich ist, trägt den Titel "Ich küsse Ihre Hand, Madame". Seine Partnerin als snobistisch-arrogantes Luxusweib: Marlene Dietrich, bevor sie durch den "Blauen Engel" berühmt wurde.

Das Aufkommen des Tonfilms schadete Harry Liedtke kaum, verglichen mir vielen seiner Kollegen, deren Stimme "versagte". Er wurde weiter beschäftigt, wenn auch seine grauen Schläfen nicht mehr zu übersehen waren. Seine letzte Rolle war 1949 die eines umschwärmten Klaviervirtuosen, der sich zwischen Ehefrau und Verehrerinnen zu arrangieren sucht ("Das Konzert" nach Hermann Bahr).

Liedtkes Lebensende ist ebenso tragisch wie schrecklich, wobei seine letzten Tage in Bad Saarow bis heute nicht ganz geklärt sind. Am 26. April 1945 fand sein Gärtner ihn und seine Frau nach einem erfolglosen Selbstmordversuch. Einem benachbarten Arzt gelang die Wiederbelebung des Schauspielerpaares. Zwei Tage später haben dann Rotarmisten, so wird vermutet, beide erschlagen, nachdem Liedtke vergeblich versucht hatte, seine Frau und ein junges Mädchen vor einer Vergewaltigung zu schützen. Liedtkes Gärtner begrub das Ehepaar auf dem Gartengelände. Die Villa ging in Flammen auf.

In Bad Saarow gestaltete der Kurförderverein eine bescheidene, aber durchaus sehenswerte Ausstellung für den Künstler, der sich hier so wohlgefühlt hat. An die Benennung einer Straße hat sich die nicht gerade kulturfreudige Gemeindevertretung bis heute nicht herangewagt.

"Vergeßt mich nicht und was von mir Euch bleibt", bat Harry Liedtke in einer kleinen Gedichtsammlung. Sein Wunsch blieb unerfüllt.


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