© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 19/05 06. Mai 2005

Sorge um Vater
Am 20. April vom Jungvolk befreit
Ottmar Hertkorn

Zu Hitlers Geburtstag mußten sich alle Knaben, die im betreffenden Jahr zehn Jahre alt werden, zum Jungvolk einfinden - für mich (Jahrgang 1935) wäre dies der 20. April 1945 gewesen. Genau an diesem Tag zogen die Amerikaner in den Ort Salach (Kreis Göppingen), in dem wir von Stuttgart aus evakuiert worden waren. Dort wohnten wir Großeltern - in deren Wohnung kein Hitlerbild zu sehen, aus den Radioempfängern jedoch BBC zu hören war.

Am 20. April 1945, morgens um 7 Uhr, hörten wir starkes Motorengeräusch und schauten vom ersten Stock zur Straße: Zuerst kamen die Panzer. Rechts und links marschierten Soldaten. Alle hatten das Gewehr geladen und nach vorne gerichtet. Einige deutsche Erwachsene mit erhobenen Händen wurden vor ein Scheunentor gestellt. Dann kamen einige Sanitätsautos, Last- und Personenwagen. So ging es zwei Tage lang weiter, immer Auto an Auto. Als sie zwei Tage da waren, mußte man alle Waffen abliefern. Einige Bürger wurden aus ihren Häusern sogar für mehrere Monate vertrieben, um für Angehörige der amerikanischen Truppen Platz zu machen. Dort wurden sogar komplett die Straßen für Einheimische gesperrt, was allerdings nach einigen Wochen gelockert wurde.

Die Ausgangszeiten wurden restriktiv begrenzt. Zuerst wurden sie von morgens acht Uhr bis abends fünf Uhr bestimmt, später dann von sechs Uhr morgens bis neun Uhr abends.

Die Tragweite des Kriegsendes konnte ich aus späterer Rückschau mit zehn Jahren nicht erfassen. Auf jeden Fall war der 20. April, Hitlers Geburtstag, mein Tag der Befreiung von Jungvolk, Hitlerjugend und Nationalsozialismus. Mein größte Sorge war damals, ob mein Vater, der als Soldat im Osten diente und von dem wir eine längere Zeit nichts mehr gehört hatten, jemals wiederkommt. Ansonsten fühlte ich mich auch während des Kriegs in unserer mehrere Generationen umfassenden Familie und in der katholischen Gemeinde, in der ich Ministrant war, sehr geborgen. 

Ottmar Hertkorn, Paderborn

Foto: Flüchtlinge rasten mit ihren Habseligkeiten im Frühjahr 1945 auf den Gleisen neben einem Güterwaggon


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