© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 19/05 06. Mai 2005

Ganz allein
Kein Einsatz von Wunderwaffen
Hilde Hülsmeyer

An den 8. Mai 1945 erinnere ich mich nicht genau, sondern an den Tag im April, als amerikanische Panzer heranrollten, nachdem sie den Rhein überquert und Düsseldorf kampflos eingenommen hatten.

Wir, meine Mutter meine Schwester und ich, befanden uns etwa zwanzig Kilometer östlich von Düsseldorf auf dem Bauernhof unseres "Kartoffelbauern". Nachdem mein Vater im Dezember 1944 durch Luftangriff auf unser Bürohaus in der Lindemannstraße 7 ums Leben gekommen war und wir privat zum dritten Mal bombengeschädigt waren, hatte der Bauer uns mitsamt den kärglichen Resten unserer Habe per Trecker zu seinem Hof gebracht, wo er selber aber nicht wohnte.

In der dortigen Scheune waren etwa zweihundert russische Kriegsgefangene untergebracht. Sie mußten tagsüber Gräben auf den Äckern auswerfen für "Verteidigungslinien". Bewacht wurden diese von älteren Soldaten und SA-Leuten, die zusammen mit uns in dem Bauernhaus einquartiert waren. Im kleinen Batterie-Radio, das wir noch hatten, konnten wir leise - was eigentlich streng verboten war - "Feindsender", das heißt BBC-Nachrichten hören, wußten also, daß das Kriegsende unmittelbar bevorstand. Die Wachmannschaften, die sich in den vorangegangenen Wochen immer "stramm auf Linie und mit Heil-Hitler-Rufen" präsentiert hatten, aber bei Fliegeralarm als erste im Keller waren, waren eines Morgens verschwunden unter Hinterlassung ihrer Gewehre und Uniformen.

Für uns als einzige Frauen auf dem Bauernhof bedeutete das eine gefährliche Situation gegenüber den russischen Kriegsgefangenen. Die taten uns aber nichts. Sie hatten auch begriffen, daß der Krieg zu Ende war. Die auf dem Nachbargehöft stationierte Einheit mit ihrem riesigen Granatwerfer (etwa vierzig Zentimeter Durchmesser), einer Wunderwaffe, wie uns versichert worden war, war auch auf einmal weg. Wir hatten bis zum Schluß deren Beteuerungen betreffend der "Wunderwaffen" geglaubt, die noch zum Einsatz kämen, um das "Kriegsglück" doch noch zu unseren Gunsten zu wenden.

Den bei uns eintreffenden Amerikanern, die aus ihren Panzern stiegen, sagten wir, wir seien Luxemburger, also keine Deutschen, was glaubhaft war, weil wir Englisch wie Französisch gut sprechen konnten. (Wie sich eine gute Schulausbildung doch manchmal auszahlt). Die Russen wurden schnell per Lastwagen abtransportiert, winkten uns zum Abschied fröhlich zu. Sie ahnten nicht, daß sie - als Vaterlandsverräter von Stalin geächtet - bald in Lagern hinter dem Ural ankommen würden.

Die Amerikaner behandelten uns gut, außer daß sie uns sofort unseren bis dahin geretteten Schmuck stahlen. Wichtiger, sie schenkten uns Brot, Fleischkonserven und Kaffee. Sie waren genauso froh, daß der Krieg zu Ende war, und hofften auf baldige Heimkehr. Nach ihnen kamen die Engländer, die unangenehm "rüpelhaft" waren, uns nichts schenkten, sondern noch klauten, was noch für sie stehlenswert war. An eine Zukunft ohne meinen Vater dachten wir nicht, wir lebten von einem Tag zum anderen wie Eintagsfliegen. 

Hilde Hülsmeyer, Düsseldorf


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