© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 19/05 06. Mai 2005

Körperpflege
In britischer Gefangenschaft
Jürgen Knigge

Im Alter von 19 Jahren war ich am 22. April 1945 als Soldat in einer mir gut bekannten Gegend bei Rotenburg/Wümme in englische Kriegsgefangenschaft geraten. Obwohl ich von dort an einem Tag zu Fuß ohne Landkarte und Kompaß nach Hause zu meinen Eltern in Bremen hätte gehen können, mußte ich noch fast fünf Monate in einem Gefangenenlager in der Nähe von Brüssel zubringen.

Wenn ich mich recht entsinne, sind wir in dem Gefangenenlager von dem Ende des Krieges nicht genau am 8. Mai, sondern erst einige Tage später unterrichtet worden. Wir waren froh und erleichtert, daß die immer unsinniger gewordenen militärischen Auseinandersetzungen damit zu einem Ende gekommen waren. Der Gedanke, jetzt "befreit" zu sein, ist uns damals - und auch noch lange Zeit danach - aber bestimmt nicht in den Sinn gekommen.

Ich besitze heute noch einen kleinen Kalender aus dem Jahre 1945, in dem ich damals tagebuchähnliche Notizen gemacht habe. Am 8. Mai 1945 habe ich vermerkt: "Von oben bis unten gewaschen ohne Seife und Handtuch". Dies war etwas Besonderes, denn dazu hatte ich wochenlang vorher keine Möglichkeit gehabt. Irgendwelche Notizen über politische Dinge oder darüber, daß über so etwas diskutiert worden sei, sind in meinem kleinen Tagebuch nicht zu finden. Dafür aber zum Beispiel: Teilnahme an einem Gottesdienst, Vorträgen von einem Mitgefangenen über musikalische Themen zugehört, selbst einen kleinen Vortrag gehalten und aus dem Blech von Konservendosen etwas gebastelt.

Und als die Kriegsgefangenschaft im September 1945 dann für mich zu Ende ging, bin ich auch keineswegs "befreit", sondern - wie auch in der mir noch vorliegenden Urkunde der British Army vermerkt - nur aus der Gefangenschaft "entlassen" worden.

Jürgen Knigge, Hassendorf

Foto: Deutsche Kriegsgefangene in einem amerikanischen Lager bei Sinzig in Rheinland-Pfalz, 1945


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen