© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/05 20. Mai 2005

Nur schöne Namen
Sozialwahlen 2005: Die gewählten Gremien versagen bei Kontrolle der Haushalte und der Verwaltungskosten
Josef Hämmerling

Mehr Schein als Sein!" Mit dieser alten deutschen Redewendung kann man die alle sechs Jahre stattfindenden Sozialwahlen bezeichnen, die in diesen Wochen durchgeführt werden. Bei dieser Abstimmung sind 46 Millionen Arbeitnehmer aufgerufen, bis zum 1. Juni dieses Jahres die Vertreterversammlung der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) zu wählen. Diese setzt sich aus 30 Arbeitgeber- und 30 Arbeitnehmervertretern zusammen. Dagegen bestehen die Verwaltungsräte in den Krankenkassen vollständig aus Arbeitnehmervertretern.

Was auf dem Papier ja noch gut klingt, ist in der Praxis aber mit wenig Einfluß versehen. Vor allem, wenn man sich die Kosten ansieht, die sich nach BfA-Schätzung auf 46 Millionen Euro belaufen. Davon entfallen alleine acht Millionen Euro auf Werbung - angesichts leerer Kassen der Bundesversicherungsanstalt und der Krankenkassen eine nicht unerhebliche Summe. BfA-Pressereferent Stefan Braatz verteidigt dies damit, daß die Sozialwahlen alle sechs Jahre stattfinden und somit jeden Versicherten lediglich rund 17 Cent pro Jahr kosteten.

Dies wäre ja noch akzeptabel, hätten die Sozialwahlen wirklich die Bedeutung, die ihnen von den kandidierenden Gewerkschaften und Sozialverbänden immer wieder gegeben wird. Leider ist aber das genaue Gegenteil der Fall! Denn auf die wirklich wichtigen Entscheidungen haben diese 30 Versichertenvertreter keinerlei Einfluß, da bei der Rentenversicherung der Gesetzgeber die entscheidenden Punkte wie Rentensteigerung und Beitragshöhe festsetzt. Insgesamt sind rund 95 Prozent aller Angelegenheiten bei der BfA und den Krankenkassen gesetzlich geregelt. Die jetzt zu wählenden 30 Vertreter der Versicherten werden hierzu noch nicht einmal gehört. Ihre Gestaltungsmöglichkeiten beschränken sich vor allem auf die Kontrolle der Haushalte und der Verwaltungskosten.

Doch auch da sollten die Versicherten nicht allzu viel erwarten. So wurden von den Verwaltungsräten selbst die massiven - an den Vorstandsvergütungen der privaten Assekuranz orientierten - Gehaltserhöhungen der Krankenkassenchefs abgesegnet, und auch bei den exorbitanten Verschuldungen der Gesetzlichen Krankenkassen gab es keinen Widerspruch. "Ich hab' noch nicht erlebt, daß etwas abgelehnt worden ist", vertraute ein Verwaltungsrat Spiegel online an.

Daß dieses Wirken - oder sollte man nicht besser sagen: Nichtwirken - keine Konsequenzen für die Verwaltungsräte hat, liegt auch daran, daß praktisch niemand sie kennt. Auf den Wahllisten verstecken sich nämlich anonyme Listen der verschiedensten Organisationen, wie etwa "Liste 1: BfA-Gemeinschaft Freie und unabhängige Interessensgemeinschaft der Versicherten und Rentner der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte e.V." oder die "Liste 6: DAK Mitgliedergemeinschaft e.V. Gewerkschaftsunabhängig. Stark und frei. Allianz der Versicherten in der DAK und der Deutschen Rentenversicherung. Gegründet 1955". Schöne Namen, doch was diese beiden Listen eigentlich wollen, weiß niemand so recht.

Und dann gibt es natürlich noch jede Menge gewerkschaftlicher Listen, wie etwa "Liste 2: ver.di - Vereinigte Dienstleistungsgewerkschaft" oder "Liste 9: IG Metall". Und auch die IG Bau ist zusammen mit der Gewerkschaft Nahrung-Genuß-Gaststätten als Liste 11 vertreten.

Von den insgesamt 14 Listen scheinen aus konservativer Sicht nur drei interessant, nämlich "Liste 12: DBB Beamtenbund und Tarifunion", "Liste 13: Gewerkschaft der Sozialversicherung (GdS)" und "Liste 14: Christlicher Gewerkschaftsbund Deutschlands (CGB)/DHV-Deutscher Handels- und Industrieangestellten-Verband e.V./Gewerkschaft Öffentlicher Dienst und Dienstleistungen (GÖD)". Diese drei Listen sind darüber hinaus eine Listenverbindung eingegangen - auch dies eine Besonderheit der Sozialwahlen. Besonders auffallend ist, daß "Liste 8: Katholische Arbeitnehmer-Bewegung (KAB) Deutschlands e.V./Kolpingwerk Deutschland/Bundesverband Evangelischer Arbeitnehmerorganisationen e.V." eine Verbindung mit den weit links stehenden DGB-Gewerkschaften eingegangen ist und damit für konservativ eingestellte Wähler eigentlich nicht mehr wählbar ist - im Gegensatz zu der christlichen Listenverbindung.

Ein großer Nachteil aller Listen ist aber, daß sie anonym sind. Wer sich dahinter eigentlich verbirgt - Fehlanzeige. So kritisierte dann auch der Vorsitzende des Bundes der Steuerzahler Karl Heinz Däke, daß mit der Wahl lediglich die Verbände ihre Macht zementierten. Von daher sei sie eine reine Geldverschwendung.

Absurd sind die Sozialwahlen auch, weil es nur in fünf von über dreihundert Institutionen überhaupt Wahlen gibt. Der große Rest der Versichertenvertreter wird nämlich durch sogenannte "Friedenswahlen" bestimmt. Das ist etwa bei den Landesversicherungsanstalten und zahllosen Betriebskrankenkassen der Fall. Wenn dort nämlich nicht mehr Kandidaten zur Wahl stehen, als Posten zu vergeben sind - und das ist praktisch immer der Fall -, dann sind automatisch alle Kandidaten auch gewählt. So haben sich dann bei den meisten Kassen die Gruppen auch vorher abgesprochen, und viele ihrer Vertreter sitzen schon jahrzehntelang im Verwaltungsrat. Von einer freien Wahl kann also keine Rede mehr sein!

Von den Gewerkschaften werden diese "Friedenswahlen" darüber hinaus auch gerne dazu genutzt, altgedienten Funktionären noch schnell einen Posten zuzuschanzen. Das einzig Positive an diesen Verwaltungsräten ist, daß es sich dabei um ein Ehrenamt ohne Bezahlung handelt. Pro Sitzung gibt es lediglich eine Aufwandsentschädigung von etwa 50 Euro.

Angesichts dieses Gekungels darf es dann niemanden wundern, daß diese "wichtigste Wahl nach Bundestags- und Europawahl" - so jedenfalls die Meinung von Sozialministerin Ulla Schmidt (SPD) - in der Öffentlichkeit so gut wie unbekannt ist. Vor sechs Jahren lag die Wahlbeteiligung bei nur 38 Prozent - und für dieses Mal wird eher eine noch geringere Beteiligung erwartet. Das könnte theoretisch eine Chance für nonkonforme Konservative (oder auch Linke) sein - denn je weniger wählen gehen, desto größer ist der Einfluß einer einzelnen Stimme. Aber wahrscheinlich sind die Wahlunterlagen bei den meisten längst zwischen Kaffeefahrt- und Möbelhauswerbung in der Altpapiertonne gelandet.

Werbung für Sozialwahl vor Brandenburger Tor: Drei eher konservative Listen haben sich verbündet


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