© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/05 20. Mai 2005

Stimmen für niemanden
Wahlen: Immer mehr Wähler machen ihre Stimme ungültig / Forschungsprojekt an der Universität Erfurt
Alexander Bagus

Wer erreichte bei der Europawahl im vergangenen Jahr in Mecklenburg-Vorpommern 5,3, im Saarland 6,6 und in Sachsen-Anhalt 6,7 Prozent? Es waren nicht die Republikaner, nicht die PDS und auch nicht die NPD. Es war der Kreis der Wähler, die eine ungültige Stimme abgegeben haben - eine Gruppe, die bei diesen Zahlen auch Chancen auf einen Einzug in den nordrhein-westfälischen Landtag hätte. Das Thema wird nach Wahlen meist ignoriert, obwohl die Zahl der Ungültigwähler kontinuierlich steigt.

Wahlstimmen sind nach dem Bundeswahlgesetz unter anderem dann ungültig, wenn der Stimmzettel nicht in einem amtlichen Wahlumschlag abgegeben wurde oder wenn der Zettel einen Zusatz oder Vorbehalt enthält oder den Willen des Wählers nicht zweifelsfrei erkennen läßt.

Mit dem Phänomen der Ungültigwähler, ihren Motiven und ihren Absichten beschäftigt sich derzeit der Student Philipp Mayer von der Universität Erfurt. Er bearbeitet das Thema für seine Abschlußarbeit im Studiengang "Public Policy" - zu deutsch: Öffentlichkeitsarbeit. Eine vergleichbare Untersuchung hat es bisher noch nicht gegeben. Auf einer eigens konzipierten Internetseite ( www.ungueltigwaehler.de ) bietet Mayer Ungültigwählern die Möglichkeit, sich zu den Motiven für ihr ungewöhnliches Wahlverhalten zu äußern.

Die Idee für dieses Projekt kam ihm, nachdem er sich über den teilweise deutlichen Anstieg der ungültigen Stimmen in einzelnen Bundesländern bei den Europawahl gewundert hatte. Im Saarland etwa stieg der Anteil dieser Stimmen von 3,4 Prozent beim Wahlgang 1999 auf 6,6 Prozent im vergangenen Jahr. Deutschlandweit waren 2004 bei den Wahlen zum europäischen Parlament 2,8 Prozent der abgegebenen Stimmen ungültig.

Die auf der von dem Studenten aus Thüringen eingerichteten Netzseite beschriebenen Beweggründe der Personen, die von sich behaupten, bei Wahlen bewußt keine gültigen Stimmen abzugeben, sind sehr unterschiedlich. Gut fünfzehn Prozent lehnen das parlamentarische System grundsätzlich ab. Einige geben an, es mache ihnen Spaß, eine ungültige Stimme abzugeben. Der Großteil mit über 60 Prozent ist von der Politik enttäuscht und sieht - da sie von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen wollen - keine anderen Alternativen, als eine ungültige Stimme abzugeben. Sie werfen den Parteien und Politikern Versagen und unlautere Motive vor und halten sie für unfähig.

Als ein weiterer wichtiger Grund für die Stimmenthaltung wird immer wieder die Parteienfinanzierung genannt. Für die ersten vier Millionen Wählerstimmen erhalten die Parteien jeweils 85 Cent, für jede weitere Stimme 70 Cent aus Steuergeldern. Gemeinsam ist allen bekennenden Ungültigwählern ein ausgeprägtes Interesse an der Politik. Sie wollen sich nicht als politikverdrossen abstempeln lassen.

Daß diese Wahlenthaltung aber ebenso wenig Einfluß hat wie eine nicht abgegebene Stimme, verdrängen die Ungültigwähler zumeist. Die etablierten Parteien sind sogar eher Nutznießer dieses Verhaltens. Zwar bekommen diese ein paar Euro weniger, ihr parlamentarischer Einfluß wird aber damit nicht geschmälert. Vor allem die kleineren Parteien, die in vielen deutschen Parlamenten vertreten sind, wie die PDS, die Grünen und die FDP, können davon profitieren. Denn da diese meist eine höhere Mobilisierungsrate unter ihren Stammwählern haben als etwa SPD und der CDU, vergrößert sich der prozentuale Anteil der Stimmen der kleineren Parteien, wenn zusätzlich auch noch mehrere Prozent der Wählerstimmen ungültig sind und aus der Berechnung herausfallen. Zudem werden die ungültigen Stimmen zumeist von Politikern und Wahlbeobachtern ignoriert. Natürlich werden sie bei wachsender Anzahl irgendwann auf eine gewisse Resonanz stoßen müssen. Aber es ist unwahrscheinlich, daß hier die Parteien ernstgemeinte Gegenmaßnahmen ergreifen werden.

Dabei hätten die Parteien durchaus Möglichkeiten, wieder mehr Wähler zu mobilisieren. In Osteuropa gibt es dafür gleich mehrere Instrumente, zum Beispiel eine Mindestwahlbeteiligung von 50 Prozent in Rußland und eine extra Enthaltungsstimme auf dem Wahlzettel in der Ukraine. In Belgien herrscht sogar eine Wahlpflicht, was rechten Protestparteien wie dem Vlaams Belang nicht geschadet hat, eher vielleicht im Gegenteil. Solche Instrumente, die der Demokratie nützen, könnten auch in Deutschland Ungültig- wie Nichtwähler zur Abgabe einer gültigen Stimme bewegen. Der Protest mag verständlich sein, der Nutzen ist jedoch beschränkt.


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