© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 22/05 27. Mai 2005

Jürgen Fliege
Christ ohne Gott
von Alexander Griesbach

Jürgen Fliege, der das bundesdeutsche Fernsehpublikum seit 1994 mit seiner Talkshow "Fliege" beglückt, hat so seine ganz eigenen Vorstellungen von den Inhalten des christlichen Glaubens. "Ich frage mich", so der TV-Pfarrer, "wann höre ich damit auf, zu glauben, daß jemand anderes für meine Sünde gestorben sein soll?" War es solch christliche Glaubensfestigkeit, die die Verantwortlichen des evangelischen Kirchentages bewogen hat, Pfarrer Fliege einzuladen, in Hannover das Hauptreferat zum Thema "Spiritualität und Mission" zu halten? Laut Kirchentagspräsident Eckhard Nagel fiel die Wahl auch deshalb auf Fliege, weil ein Redner gesucht wurde, der genügend "Anziehungskraft" habe, "einen großen Saal zu füllen". - Daß hier offenbar niemand außer Fliege in Frage kommen soll, ist schon bezeichnend genug.Die nicht abebben wollende Kritik an dem Auftritt wird indes mit dem Hinweis abgetan, Flieges Äußerungen bewegten im Rahmen dessen, "was auf einem Kirchentag diskutierbar ist". Eine konsequente Antwort - versteht sich doch der Evangelische Kirchentag seit Jahrzehnten als ein "Markt der Möglichkeiten". 

Darunter kann von Fall zu Fall auch die Infragestellung der eigenen "Geschäftsgrundlagen" fallen.Diese hält Pfarrer Fliege für nicht mehr zeitgemäß und rät seiner Kirche deshalb, Tanz, Zauber und Magie in ihre Gottesdienste aufzunehmen. Der Opfertod Christi ist ihm nichts anderes als "schwarze Pädagogik" und Gott nur der "Gangster da oben". Allein der "Geist der Geschwisterlichkeit bringt uns weiter und nicht der Glaube an einen Jesus, der geblutet hat", dekretiert Fliege.Den Forderungen nach einem Lehrzuchtverfahren gegen ihn beziehungsweise nach Aberkennung der Ordinationsrechte verschließt sich die Rheinische Landeskirche. Seine Äußerungen reichten für derartige Maßnahmen angeblich nicht aus. Die Kirchenleitung führe aber einen "deutlichen kritischen Dialog" mit ihm.Geboren 1947 im Bergischen Land, war Fliege 15 Jahre lang Pfarrer in Düsseldorf, Essen und Aldenhoven, bevor er 1994 zum Fernsehen kam. Seine Kindheit beschrieb er einmal als einziges Jammertal: "Meine Kinderjahre waren die härtesten Jahre. Prügel, Angst, Einsamkeit. Aber das war auch die Grundlage, sich später in fremdartige Menschen hineinzufühlen." Schon als Theologiestudent war ihm der Gottesdienst "nicht nahe genug am Menschen". Einer wie Fliege ist dagegen selbstredend immer "nahe genug" dran, so nahe, daß die Menschen immer wieder bereit sind, ihm vor Millionen Zuschauern ein "Stück ihres Lebens anzuvertrauen", wie Fliege selbstzufrieden feststellt. Sein Rezept, per Suggestivfragen den Gesprächsverlauf in die gewollte Richtung zu steuern, beschreibt er als "einfach": "Ich breche nicht in die Seelen der Menschen ein wie ein Dieb in der Nacht." Das hat er in der Tat nicht nötig: Er bevorzugt hierfür ein grell ausgeleuchtetes Fernsehstudio und laufende Kameras.


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