© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 22/05 27. Mai 2005

Weder auf dem Balkan noch am Nordpol
Vertriebene: Deutschlandtreffen der Ostpreußen in Berlin / Steinbach wirbt für Zentrum gegen Vertreibungen / "Wunderbare Liegenschaft"
Marcus Schmidt

Die Vorsitzende des Bundes der Vertriebenen (BdV), Erika Steinbach, hat am Wochenende auf dem Deutschlandtreffen der Ostpreußen in Berlin den Willen des BdV bekräftigt, das geplante Zentrum gegen Vertreibungen in der deutschen Hauptstadt zu errichten. Das Zentrum gehöre nach Deutschland und nicht auf den Balkan oder an den Nordpol.

Steinbach deutete an, daß noch in diesem Jahr eine Entscheidung über den Standort fallen werde. "Wir haben eine wunderbare Liegenschaft in Berlin so gut wie unter Dach und Fach", sagte sie. Der genaue Standort werde allerdings erst genannt, wenn die Verhandlungen abgeschlossen seien.Fortschritte gebe es auch bei der Finanzierung. 450 Städte- und Gemeinden, darunter Frankfurt am Main und Düsseldorf, hätten bereits ihre Unterstützung für das Projekt zugesagt und würden jeweils fünf Cent pro Einwohner in den Fonds einzahlen. Auch die Bundesländer Bayern, Baden-Württemberg, Hessen und Thüringen hätten ihre Unterstützung bereits versprochen.

Steinbach unterstrich erneut die Notwendigkeit, mit einer ständigen Einrichtung an die Vertreibung zu erinnern. Gerade das Jahr 2005 mit seinen Gedenktagen zeige, wie nötig eine Einrichtung ist, die die "größte Menschenverschiebung seit biblischen Zeiten" dokumentiere. Die Vertreibung sei ein Bestandteil der deutschen Geschichte, der jedoch nicht bei allen Deutschen im gleichen Maße präsent sei und bei vielen erst noch "eingepflanzt" werden müsse. Daher sei das geplante Zentrum für diejenigen, die nicht selbst vertrieben worden seien, vielleicht noch wichtiger als für die Vertriebenen und ihre Nachkommen selbst. 

Die CDU-Bundestagsabgeordnete, die auch an das "Wunder der Integration" der Vertriebenen nach 1945 im westlichen Teil Deutschlands erinnerte, kritisierte die Bundesregierung für ihre ablehnende Haltung gegenüber dem geplanten Zentrum. Dem von Kulturstaatsministerin Christina Weiss (parteilos) vorangetriebenen "europäischen Netzwerk Erinnerung und Solidarität" stehe der BdV offen gegenüber. Recht auf Heimat als Menschenrecht anerkennen

Steinbach verwies allerdings darauf, daß die Einrichtung die Bezeichnung "europäisch" kaum verdiene. Während im Beirat des geplanten Zentrums gegen Vertreibungen sieben Nationen vertreten seien, beteiligten sich an dem europäischen Netzwerk nur vier Staaten. "Die Vokabel Vertreibung kommt in dem Namen überhaupt nicht mehr vor", sagte sie. Hauptredner auf dem traditionellen Deutschlandtreffen der Ostpreußen, zu dem mehrere tausend Teilnehmer auf das Berliner Messegelände gekommen waren, war der sächsische Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU). Er erinnerte an die schwierige Lage der Vertriebenen in der DDR. Obwohl sie ein Viertel der Bevölkerung gestellt hätten, mußten sie über ihr Schicksal schweigen.

Die Forderung nach einer Anerkennung des den Vertriebenen angetanen Unrechts nannte Milbradt legitim. Er verwies darauf, daß das Thema auch heute noch aktuell sei. Niemand könne die Vertreibungen in der sudanesischen Provinz Dafur verurteilen und gleichzeitig über die Vertreibung von 15 Millionen Deutschen schweigen.

Milbradt, der selbst während der Flucht seiner Eltern aus der ehemaligen preußischen Provinz Posen geboren wurde, sprach sich gegen Versuche aus, die Vertreibungen mit dem Verweis auf die Kollektivschuld der Deutschen an den Verbrechen des nationalsozialistischen Regimes zu rechtfertigen. "Es gibt keine Kollektivschuld, wohl aber eine Kollektivscham", sagte er.Milbradt forderte, daß überall im "zusammenwachsenden Europa" das Recht auf Heimat als Menschenrecht anerkannt werden müsse. Die Heimatliebe der Vertriebenen sei kein Revanchismus. Nur wer sich seiner Identität und sicher sei, könne sich einer anderen Kultur öffnen, ohne daß er sich von ihrer Andersartigkeit bedroht fühle.

Kritisch setzte sich der Ministerpräsident mit dem sogenannten Antifaschismus auseinander. Ein Anti-Nationalsozialismus könne nicht die alleinige Antwort auf die Bedrohung der Demokratie sein. "Vielmehr müssen wir uns gegen jede Art von Unfreiheit und Unterdrückung wehren, auch wenn sie sich einen noch so humanistischen und fortschrittlichen Anstrich gibt", sagte er.


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