© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/05 03. Juni 2005

"EU-Verfassung verbessern, nicht verhindern"
Interview: Der CDU-Bundestagsabgeordnete Albrecht Feibel über die deutschen Verfassungskritiker nach dem französischen "Nein"
Moritz Schwarz

Herr Feibel, Sie gehören zu den 23 Abweichlern, die am 12. Mai im Bundestag gegen die EU-Verfassung gestimmt haben. Was bedeutet das französische Votum für die Verfassungsgegner in Deutschland?

Feibel: Viele begrüßen die französische Entscheidung als Korrektiv des EU-Verfassungsvertrages!

Bedeutet das französische "Nein" denn einen neuen Impuls für die EU-Verfassungs-Opposition hierzulande?

Feibel: Das Problem ist, daß bei uns der Ratifizierungsprozeß mit der Zustimmung des Bundesrates am 27. Mai abgeschlossen worden ist. Um ehrlich zu sein, wir sind derzeit alle etwas ratlos. Die europäischen Regierungschefs wollen den Ratifizierungsprozeß offenbar trotz Rückschlägen bis zu Ende "durchziehen" und dann zusammenzählen, wie viele "Ja" und "Nein" wir in Europa haben. Dann sehen wir weiter.

Von den 247 Abgeordneten der CDU/CSU-Fraktion haben nur zwanzig gegen die Verfassung gestimmt. - Hat das französische "Nein" einige der Befürworter zum Nachdenken gebracht?

Feibel: Es ist noch zu früh, um dazu etwas sagen zu können. Ich kann nur hoffen, daß sich unter dem Eindruck der französischen Entscheidung die Einsicht durchsetzt, daß die Verfassung - auch wenn die Befürworter derzeit davon nichts wissen wollen - neu verhandelt werden muß.

Das heißt, Sie sind nicht gegen "eine" EU-Verfassung, sondern nur gegen "diese" EU-Verfassung?

Feibel: Ja, nur ein Beispiel: Der Verfassungsvertrag fordert in Artikel III-144 unter der Überschrift "Freier Dienstleistungsverkehr" die absolute Dienstleistungsfreiheit. Da der Vertrag nach Inkrafttreten wohl Vorrang vor den nationalen Gesetzen haben wird, können wir unsere einheimische Dienstleister dann nicht mehr mit nationalen Gesetzen vor entsprechender Konkurrenz schützen. Die Dienstleistungsrichtlinie wäre Makulatur! Das kann ich nicht verantworten! Oder denken Sie an die EU-Osterweiterung, die viel zu schnell und lediglich formell abgewickelt, statt "inhaltlich" entwickelt wird. Rot-Grün hat bereits die Aufnahmeanträge Rumäniens und Bulgariens für 2007 unterschrieben. Das ist grob fahrlässig! Darüber hinaus bin ich aber der Meinung, daß Europa nicht nur eine Wirtschafts- und Währungsunion sein darf, Europa muß auch eine Wertegemeinschaft sein! Ich möchte betonen, daß ich ein überzeugter Europäer der ersten Stunde bin: Ich habe in den fünfziger Jahren den ersten deutsch-französischen Jugendaustausch und später auch Treffen mit Jugendlichen aus Osteuropa mitorganisiert, als unsere Eltern noch vom "Erbfeind Frankreich" sprachen. Ich habe also nicht nur für Europa diskutiert, sondern auch agiert! Europa darf seine christlich-jüdische Herkunft nicht verleugnen, deshalb fordere ich unbedingt einen Gottesbezug in der Verfassung!

Für Ihren Kollegen Peter Gauweiler stehen allerdings staatspolitische Überlegungen im Mittelpunkt: Die Übertragung von nationalen Souveränitätsrechten durch die EU-Verfassung stößt an die Grenze der Grundgesetzwidrigkeit - oder mit anderen Worten: der Ausverkauf des Nationalstaates.

Feibel: Gauweiler ist Jurist, und man kann sicher viele gute verfassungsrechtliche Gründe gegen die EU-Verfassung anführen. Ich jedoch bin Kaufmann von Beruf und sehe das Problem eher unter seinen praktischen Gesichtspunkten. Der Verfassungsvertrag transferiert in der Tat zahlreiche nationale Zuständigkeiten nach Europa. Gut - was ich aber inakzeptabel finde ist, daß er diese Zuständigkeiten nicht nach Straßburg, - also ans Europäische Parlament -, sondern nach Brüssel - also an die Kommission und den Ministerrat - transferiert: also an die europäische Bürokratie statt an die europäische Demokratie. Ich will eine Verbesserung der Verfassung, nicht ihre Verhinderung.

Wie ist diesbezüglich die Meinung unter den übrigen Abweichlern?

Feibel: Im Detail kann ich das nicht sagen, aber bei unseren Gesprächen waren wir uns mit unserer Kritik einig.

Also als Fernziel ein EU-Bundesstaat à la Joschka Fischer statt des Staatenbunds à la Gauweiler?

Feibel: Ob Europa einmal ein Bundesstaat oder ein Staatenbund sein wird, wird die Zukunft zeigen. Vielleicht ist es die Aufgabe der nächsten Generation, darüber endgültig zu entscheiden.

Teilen die übrigen Abweichler in der Fraktion in diesem Punkt auch Ihre Sicht?

Feibel: Kann ich nicht sagen. Ich glaube, da sind sich noch nicht alle Kollegen schlüssig. Einig sind wir uns jedoch, daß es Aufgabe der CDU/CSU ist, auf dem Weg in die Zukunft die ärgsten Mängel zu beseitigen. Dank der vorgezogenen Bundestagswahlen werden wir hoffentlich bald Gelegenheit haben, diese Verantwortung zu übernehmen.

Die Abgeordnete Angela Merkel hat allerdings der Verfassung am 12. Mai zugestimmt.

Feibel: Die CDU/CSU wird ganz gewiß neue Akzente in der Europapolitik setzen. Die Unionsfraktion hat sich zum Beispiel mehrheitlich für einen Gottesbezug in der Verfassung ausgesprochen. Oder denken Sie an ein Schicksalsthema wie den EU-Beitritt der Türkei. Nach den Referenden über die EU-Verfassung ist die Bundestagswahl die nächste große europäische Weichenstellung für uns in Deutschland.

 

Albrecht Feibel, 65, ist CDU-Bundestagsabgeordneter und ehemaliger stellvertretender Vorsitzender des CDU-Landesverbandes Saar.

 

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