© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/05 03. Juni 2005

Hundert Euro je Hektar Ackerfläche
Agrarpolitik: Die Bauern in den neuen EU-Ländern erfreuen sich zunehmender Entlohnung für ihre Arbeit und ihre Produkte
Harald Ströhlein

Steigende Einkommen für die Bauern, funktionierende Märkte, florie-render Warenhandel: Selbst über den launenhaften Agrarsektor ziehen Marktbeobachter ein Jahr nach der EU-Osterweiterung ein positives Fazit. Allerdings handelt es sich dabei um erkaufte Erfolge, die möglicherweise von kurzer Dauer sind.

Über ein Jahr ist es mittlerweile her, daß die EU den acht Ländern aus dem einst kommunistischen Mittel- und Osteuropa sowie Südzypern und Malta Tür und Tor öffnete und zu einem gigantischen, über 450 Millionen Einwohner zählenden Verbund mit 25 Staaten wuchs. Und so ziehen dieser Tage findige Analysten ein überwiegend positives Fazit über die Osterweiterung.

Erhöhte Warenströme in beide Richtungen

In der Tat bestätigen sich vormals ausgesprochene trübe Prognosen nicht, nimmt man etwa den ansonsten als kapriziös geltenden Agrarsektor ins Visier. Befürchtete Turbulenzen auf dem Milchmarkt mit drastischem Mengenanfall und Preisverfall blieben ebenso aus wie ein zunehmender Wettbewerb durch osteuropäische Nahrungsmittel in westeuropäischen Regalen. Vielmehr erhöhten sich die Warenströme in beide Richtungen: So legte der Export von Agrargütern aus Deutschland in die Ostländer mit etwa 15 Prozent zu - alleine in den ersten beiden Monaten dieses Jahres um fast 30 Prozent.

Besonders bei den Veredelungsprodukten wie etwa Fleischwaren und Milcherzeugnissen sind die höchsten wertmäßigen Steigerungen zu verbuchen. Polen und die Tschechei sind mit Importvolumen von über 120 bzw. 100 Millionen Euro die bedeutendsten Abnehmerländer. Andererseits glänzt beispielsweise der polnische Außenhandel mit Milchprodukten mit zwei- bis dreistelligen prozentualen Wertezuwächsen. Und was zu erwarten war: Die Bauern aus den Ostländern erfreuen sich zunehmender Entlohnung für ihre tägliche Arbeit und ihre Produkte. Innerhalb der letzten zwölf Monate stieg so der Milchpreis in Polen um 30 Prozent, und im Schnitt erhöhten sich die Einkommen der Landwirte in den angegliederten EU-Ländern um ganze 58 Prozent.

Doch es wäre blauäugig zu glauben, ein großes Europa sei grundsätzlich ein Garant für Wachstum und Wohlstand. Denn - und das geben die EU-Kommissare freimütig zu - der jetzt präsentierte Erfolg ist ein erkaufter. Dank Geldern aus dem EU-Topf nämlich hat sich die vor der Osterweiterung verbreitete skeptische Stimmung unter den Bauern aus den Beitrittsländern grundlegend gewandelt. Direktbeihilfen und Mittel zur Entwicklung des ländlichen Raumes ermöglichen es, daß Landwirte ihre maroden Betriebe modernisieren und in Maschinen investieren können.

Rund 100 Euro je Hektar Ackerfläche erhält beispielsweise ein polnischer Bauer auf die Hand. Hinter dieser Finanzierung steht die Gemeinsame Landwirtschaftspolitik der EU, deren jährliche Ausgaben in den vergangenen Jahren stetig wuchsen und mittlerweile die 50-Milliarden-Grenze anpeilen. Mit fast 40 Milliarden nehmen davon die an die Landwirtschaft getätigten Direktzahlungen und die Maßnahmen der klassischen Marktpolitik - beide der sogenannten "ersten Säule" zugeordnet - den Löwenanteil ein. Einen weiteren bedeutenden Posten mit über sechs Milliarden Euro hält die "zweite Säule", die Finanzmittel für Maßnahmen zur ländlichen Entwicklung beinhaltet. Damit beansprucht der Agrarhaushalt mit etwa 45 Prozent am gesamten EU-Etat von etwa 100 Milliarden Euro den größten Anteil.

Die Struktur des EU-Agrarhaushalts ist jedoch einem markanten Wandel unterworfen. So wurden im Jahre 1991 noch 91 Prozent der Gelder für Marktstützungen und neun Prozent für Direktzahlungen aufgewandt. Im kommenden Jahr werden dagegen nur noch 21 Prozent des Agraretats für Marktstützungen, jedoch elf Prozent für die ländliche Entwicklung und 68 Prozent an Direktzahlungen geleistet. Allerdings wird der absolute Finanzrahmen für Direktzahlungen und Marktstützungen auf lange Sicht nach unten gefahren, trotz der erfolgten Osterweiterung mit den agrarlastigen Staaten wie Polen oder Ungarn und der vor kurzem beschlossenen Aufnahme der ebenso von der Landwirtschaft geprägten Länder Bulgarien und Rumänien.

Gefahr der Abhängigkeit von EU-Fördergeldern

Durch den derzeitigen Geldsegen geraten die Landwirte in eine Abhängigkeit, die sich zu einer existenziellen Bedrohung entwickeln kann. Denn es wird mehr als schmerzhaft sein, wenn das Gesetz des Marktes - momentan durch die Fördergelder maskiert - in seiner ganzen Härte zur Geltung kommt. Zudem kurbeln die Agrarsubventionen das Kostenniveau entsprechend an. Schon ein Jahr nach der Osterweiterung haben Grund und Boden in den Beitrittsländern dermaßen an Wert gewonnen, daß den heimischen Landwirten in puncto Landerwerb schlichtweg die Puste ausgeht. Zudem stiegen mit dem verbesserten Ertragsniveau die Preise für Betriebsmittel: Dünger, Pflanzenschutzmittel und Energie verteuerten sich innerhalb des zurückliegenden Jahres um mehr als 20 Prozent.

Das "Projekt Osterweiterung" schon heute als gelungen zu bezeichnen, ist - zumindest den Agrarsektor betreffend - verfrüht. Ob die Angleichung gelingt, wird das nächste Jahrzehnt zeigen. Bis 2013 nämlich wird die Heranführung der Beitrittsländer an die EU und die Angleichung der Agrarmärkte endgültig abgeschlossen sein. Ein Scheitern der Agrarpolitik in solchen Ländern, in denen fast 20 Prozent aller Erwerbstätigen ihr Brot mit Ackerbau und Viehzucht verdienen und bis zu sieben Prozent der Bruttowertschöpfung in der Landwirtschaft liegen, wäre verheerend.


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