© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/05 03. Juni 2005

CD: Pop/Rock
Wie eh und je
Peter Boßdorf

Früher war alles besser: So gab es eine Zeit, da schauten alte Menschen artig im Ersten oder Zweiten Programm die einschlägigen Nostalgiegalas und mischten sich im alltäglichen Musikkonsum nicht mit ihren langhaarigen Kindern, die im Rock massenhaft das individuelle Heil suchten und dank ihrer Kaufkraft der Unterhaltungsindustrie neue Umsatz- und Renditedimensionen bescherten. Dabei hat es unter den Konsumenten phasenweise immer wieder das Gefühl gegeben, man könne den Kunstschaffenden trotz ihrer Spitzenverdienste so etwas wie Authentizität zuerkennen und die über den Markt hergestellte Vermittlung wäre sozusagen rein technisch, ohne daß sie die Reinheit des Kulturgutes und seiner Botschaften beflecken könnte. Heute dagegen mag man den Status des seiner Kunst und Selbstverwirklichung verpflichteten Musikanten eigentlich nur noch jenen zukommen lassen, die erwiesenermaßen erfolglos sind.

Das letzte Mal (die Grunge-Episode nicht mitgezählt), daß der Glauben an Authentizität grassierte und Musiker sich den Gesetzen des Marktes zu entziehen suchten, liegt knapp ein Vierteljahrhundert zurück und war, wie man heute weiß, auch bloß der Auftakt für ein gutes Geschäft. Immerhin lieferten Punk und New Wave aber noch den Soundtrack zu einer rabiaten Auflehnung gegen alles und jeden, welche sich Scharen von Jugendlichen gönnten, bis auch sie sich mit den bestehenden Verhältnissen versöhnten. Wie harsch und wie aggressiv sie ihren Widerspruch für sich zum Ausdruck bringen ließen, kann man jetzt an der deutschen Band Genepool rekonstruieren, die ihr Epigonentum zu einer manche der Vorbilder in den Schatten stellenden Vollendung treibt. Düster-euphorische Gitarren und eine aufgekratzte, resolute Sangesstimme reißen den Hörer mit zum Dauerlauf durch das Debütalbum "Everything Goes In Circles" (Nois-O-Lution/Indigo), eine kurzweilige Kraftmeierei, in der die Kurve zum romantisierenden Gothic-Rock mit all seiner Innerlichkeit und Tiefenschürferei noch nicht eingeschlagen ist, man sich aber längst nicht mehr an einer Lebenswirklichkeit von heute oder wenigstens von gestern abarbeitet. Unter den zahllosen Anklängen überwiegen jene an The Sound, von denen folgerichtig ein Song auch stilsicher gecovert wird. So echt das Resultat auch anmutet, so anachronistisch und damit sympathisch ist die Intention: Auch Genepool ist unterwegs auf der Flucht aus der Zeit, kommt dabei aber wenigstens - im Gegensatz zu anderen Genrevertretern unterhalb der Schwelle zur Radioverträglichkeit - ohne den Griff in die Verkleidungskiste aus.

Etwas einfacher haben es da die immer noch rüstigen Herren von New Order: Sie müssen sich ihre Stilnische nicht erst erobern, sondern brauchen nur sich selbst halbwegs treu zu bleiben. Das tun sie auf ihrer neuen CD "Waiting for the Sirens' Call" (London Records/WEA) weidlich, sie sind sogar, unterdessen scheinen sie per se richtige Kommunikationsprofis geworden zu sein, der Aufforderung ihrer Käufergemeinde nachgekommen und haben dem Synthesizer zu Lasten der auf der Comeback-CD "Get Ready" dominanten Gitarren wieder mehr Raum konzediert.

Das Resultat ist so wie eh und je: Es plätschert mal nur gefällig, mal sogar ein wenig mitreißend vor sich hin, ohne daß man als Hörer das schlechte Gewissen bekäme, einer seichten Konfektionsware aufgesessen zu sein. Ja, wenn nur der Mythos stimmt, steckt man sogar peinliches, weibliches, ansonsten nur unter Soul-Verdacht zu stellendes Background-Schuhuu weg, die haben sich ja quasi unter den Augen der Sex Pistols gegründet, sagt man sich dann, das kann ja unmöglich Kitsch sein, was die da machen. Ist es aber leider doch, und das nicht erst seit heute.


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen