© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 24/05 10. Juni 2005

Das Schönwetterprojekt verzieht sich
Regierungskrise: Die Koalition aus SPD und Grünen ist schon lange am Ende / Planspiele für die Zeit danach / Sozialdemokraten droht Linksrutsch
Paul Rosen

Wenn Kanzler Gerhard Schröder in einem Gespräch mit Bundespräsident Horst Köhler über die bevorstehende Vertrauensfrage gesagt haben soll, er könne sich auf die SPD-Fraktion nicht mehr verlassen, dann ist das nur die halbe Wahrheit. Auch die Grünen-Fraktion ist instabil. Der kleine Koalitionspartner würde den Kanzler bei den bevorstehenden Sozialstaatsoperationen nicht mehr komplett unterstützen. Der Vorrat an Gemeinsamkeiten ist aufgebraucht. Rot-Grün, das Schönwetterprojekt, zieht bereits die Segel ein, lange bevor der Sturm namens Staatsbankrott heraufzieht. Die SPD wird linker werden. Frühere "Neue Mitte"-Figuren wie Schröder oder Wirtschaftsminister Wolfgang Clement sind Geschichte.

Die Entfremdung zwischen den rot-grünen Koalitionspartnern war seit Monaten zu registrieren. Sie wurde am deutlichsten im Verteidigungs- und Sicherheitsbereich sichtbar. Schröders zusammen mit der französischen Regierung unternommener Vorstoß, Waffenexporte aus der EU nach China zuzulassen, führte zu einem regelrechten Aufstand bei den Grünen. Rüstungsprojekte wie das deutsch-amerikanische Raketensystem MEADS brachten ebenfalls Zwist. In allen Fällen war es Außenminister Joseph Fischer, der grüne Übervater, der seine Fraktion wieder zur Räson brachte.

Doch die Visa-Affäre hatte dem Außenminister mehr zugesetzt, als er und seine Partei wahrhaben wollten. In der Beliebtheitsskala der deutschen Politiker sackte der füllige Grüne ab. Parallel dazu ging Fischers Einfluß in der Fraktion zurück. Die Machtworte des Außenministers wegen sachlicher Meinungsverschiedenheiten mit der SPD häuften sich, bewirkten aber immer weniger.

Schröder und Fischer stehen wie eine Klammer für das rot-grüne Projekt. Das Ansehen beider Politiker in ihren jeweiligen Parteien ist gebrochen. In der SPD zieht längst Parteichef Franz Müntefering die Fäden, und die Grünen wollten zusätzlich zu Fischer Landwirtschaftsministerin Renate Künast als Spitzenkandidatin aufstellen. Das konnten die Fischer-Anhänger noch mit Mühe und Not verhindern.

Für Antworten auf Zukunftsfragen, das ist Müntefering schon lange klar, ist das Duo Schröder/Fischer nicht mehr stark genug. Die Lage könnte schlimmer nicht sein: Zur Sanierung des Bundeshaushaltes sind Steuererhöhungen unabwendbar. Dafür würde es weder bei SPD noch bei den Grünen eine Mehrheit geben Ebenso wie die Staatskasse stehen die Sozialsysteme vor der Zahlungsunfähigkeit. Die Pflegeversicherung müßte abgeschafft werden, weil ihre Ausgaben aus dem Ruder laufen. Die Rentenversicherung hat nur noch minimale Reserven. Der Offenbarungseid kommt hier nach der Bundestagswahl, also vermutlich noch im September. Die Krankenversicherung muß wahrscheinlich bereits im nächsten Jahr wieder Beiträge erhöhen.

Und trotz aller unter dem Stichwort "Hartz" beschlossenen Reformen hat es Rot-Grün nicht geschafft, den Arbeitsmarkt in den Griff zu bekommen. Die Maßnahmen zielten darauf ab, das Heer der fünf Millionen Arbeitslosen besser zu verwalten. Selbst das ist gescheitert. Die in Bundesagentur umbenannte Bundesanstalt für Arbeit ist immer noch die alte überforderte Mammutbehörde. Täglich verliert die Deutschland 1.000 Arbeitsplätze. Namen wie Grohe und Agfa, deren Produktion das Aus droht, sind nur Spitzen des Eisberges, an denen das Staatsschiff zu zerschellen droht.

Die notwendigen Operationen sind von Rot-Grün nicht mehr zu stemmen, besonders nicht gegen die seit der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen noch erdrückendere Bundesratsmehrheit von Union und FDP. Beide Koalitionsparteien wollen im bevorstehenden Wahlkampf nicht mehr vom rot-grünen Projekt reden. Allein das ist Ausdruck des Auseinanderdriftens eines gesellschaftlichen Projekts, das nicht alles anders, aber vieles besser machen wollte. Vielleicht ist dies auch der Beginn vom Ende der 68er-Ideen. Die Straßenkämpfer von einst gehen in Pension.

Für die SPD geht es jetzt um die nackte Existenz. Müntefering hat mit dem Neuwahl-Projekt aus seiner Sicht die Notbremse gezogen. Die Verärgerung von Bundespräsident Horst Köhler, der über die Pläne vorab nicht informiert war, nimmt er gerne in Kauf. Das bevorstehende Drama, wie die Vertrauensfrage im Bundestag verfassungsdicht ausgestaltet werden kann, wird Schröders Ansehen weiter in den Keller treiben. Mit ihm, so die Feststellung im SPD-Parteivorstand, ist kein Blumentopf und erst recht keine Wahl mehr zu gewinne. Geht die Vertrauensfrage wie geplant ab und verweigern die Minister Schröder das Vertrauen, damit die Abstimmung verlorengeht, ist der Kanzler nicht mehr vorzeigbar: Seine eigenen Minister hätten ihm das Vertrauen entzogen. Da die SPD so schnell aber keine neue Spitzenmannschaft aufbieten kann, liegt ein Rückzug Schröders aus der Politik nahe.

Macht Köhler die konstruierte Vertrauensfrage nicht mit, wird Schröder wohl zurücktreten müssen. Weiterregieren als "lame duck" (lahme Ente) kommt nicht in Frage. In dieser Situation würden Clement oder der ehemalige nordrhein-westfälische Ministerpräsident Peer Steinbrück als Not-Kandidaten bei der Kanzler-Wahl im Bundestag antreten. Gewählt würde niemand, und Köhler würde das Parlament auflösen müssen. So käme Müntefering auch ans Ziel.

Müntefering würde auf jeden Fall Parteivorsitzender bleiben. Nach Übernahme der Regierung durch Union und FDP könnte er den Fraktionsvorsitz an den ehemaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten Sigmar Gabriel abgeben. Die Positionen der SPD würden nach links rutschen. Es geht ihr darum, das Erstarken einer Linkspartei im Westen der Bundesrepublik zu verhindern (siehe Artikel auf dieser Seite). Mit Forderungen nach mehr Staat, Umverteilung und Kapitalismus-Kritik fällt die SPD in die Zeit vor das Godesberger Programm zurück. Ob sie damit wieder an die Macht kommt, hängt vom Erfolg der Bürgerlichen beim Ausmisten des Berliner Augias-Stalls ab, den Schröder hinterläßt.


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